11. November 2019

Gegen die Stigmatisierung des Scheiterns Erste „Fuckup Night Student Edition“ an der Universität Bonn

Erste „Fuckup Night Student Edition“ an der Universität Bonn

Bei der ersten „Fuckup Night Student Edition #1“ der Universität Bonn teilten vermeintlich gescheiterte Studierende ihre Ängste und Zweifel und warben dafür, im Scheitern auch eine Chance zu sehen.

Gegen die Stigmatisierung des Scheiterns
Gegen die Stigmatisierung des Scheiterns - Die erste „Fuckup Night Student Edition“ an der Universität Bonn fand im Wolfgang-Paul-Hörsaal statt. © Foto: Archut/Uni Bonn
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Leistungs- und gesellschaftlicher Druck, enttäuschte Erwartungshaltung, Schicksalsschläge – die Gründe für einen Studienabbruch sind vielfältig. Darüber zu sprechen fällt vielen schwer, denn der Gedanke „Ich darf nicht scheitern!“ ist fest verankert. Aber warum darf man eigentlich nicht? Die Zentrale Studienberatung Bonn (ZSB) wollte der Stigmatisierung und Tabuisierung dieses Themas entgegenwirken und lud am Donnerstagabend Studienzweifler und Interessierte in den Wolfgang-Paul-Hörsaal zur ersten sogenannten „Fuckup Night Student Edition #1“ ein. Vier Rednerinnen und Redner berichteten jeweils etwa 10 Minuten über ihre ganz persönlichen Studienlaufbahnen, in der sie auf die eine oder andere Weise gescheitert sind und über ihren Weg, damit umzugehen.
 
Die persönlichen Geschichten sollten dazu ermutigen, „das Scheitern auch als Chance zu verstehen“, erklärte Dr. Lena Ruwoldt von der ZSB die Motivation hinter dieser Veranstaltung. Sie bedankte sich für den Mut und die Offenheit der Rednerinnen und Redner persönliche Ängste, Zweifel und Schicksale mit dem Auditorium zu teilen. Und das war beachtlich: Die Reihen des großen Hörsaals waren gut gefüllt – ein Zeichen dafür, dass viele Studierende Studienzweifel umtreiben.
 
Gesellschaftliche Erwartungen versus Realität
 
Dies zu spüren ist eine Erleichterung für Florian Müller, der sich lange Zeit allein gefühlt hat mit seiner Ziellosigkeit: „Mein Studium zum Wirtschaftsingenieur hat mir Spaß gemacht, aber nach etwa vier Semestern klafften Erwartungen und Realität weit auseinander.“ Viele Klausuren schob er auf, in einigen Fächern erhöhte der dritte Prüfungsversuch den Leistungsdruck. Die Semester verstrichen, immer neue Projekte wurden begonnen: Sprachkurse, Werkstudentenjob – der Abschluss zögerte sich hinaus. Nach 14 Semestern sah sich Florian in einer Zwickmühle. Zu viel Zeit war in das Bachelorstudium geflossen, doch seine Leidenschaft entdeckte er erst über diese Umwege: Zwar hat er den Bachelor mittlerweile in der Tasche, seit drei Semestern studiert Florian allerdings jetzt Asienwissenschaften. Was andere davon halten, ist dem Studenten mittlerweile egal: „Wichtig ist, dass ich weiß, was meine Ziele sind und dass ich diese Ziele selbst definiert habe – und niemand anderes.“
 
Auch Lara Töppich (29) kannte Zweifel seit Beginn ihres Psychologiestudiums. Zu Beginn noch euphorisch, kam sie schnell an den Punkt, „nächste Woche alles hinzuwerfen!“ Während Kommilitonen immer klarere Vorstellungen bekamen, welchen Fokus sie wählten, schloss Lara immer mehr Bereiche für sich aus. Nach dem Bachelorabschluss waren die Zweifel sogar so groß, dass neben einem möglichen Master auch alternative Wege wie eine Schauspielausbildung oder ein Freiwilliges Soziales Jahr zu konkreten Gedankenspielen wurden. Sie entschied sich fürs „dran bleiben“, doch dies gelang erst über Umwege als sie im Master von der Universität Wuppertal wieder nach Bonn wechselte.
 
Das Studium als logisches Muss nach dem Abitur
 
Mutig erzählte auch Anna Olenberger (29) wie sie letztlich an Ihren eigenen Erwartungen scheiterte. Geprägt davon, dass ihr ihre Grundschullehrerin kaum etwas zutraute, wollte Anna es allen und vor allem sich selbst zeigen: Nach einem sehr guten Abitur entschied sie sich für ein Lehramtsstudium. Trotz guter Noten war Anna „todesunglücklich und litt an depressiven Verstimmungen“. Eine Kiefer-OP mit langwierigem Heilungsprozess führte letztlich dazu, dass sie ihre Vorlesungen gar nicht mehr besuchte, alles wurde zu viel. Ein Perspektivwechsel durch einen Nebenjob in einer Bäckerei habe sie gerettet, erzählte Anna. Und allmählich ließ sie einen neuen Gedanken zu: „Vielleicht wäre eine Ausbildung doch das richtige.“ Und so war es: Heute arbeitet Anna für den DAAD, geht in Schulen und kann ihre Erfahrungen weitergeben. Ihre früheren Vorbehalte gegenüber einer klassischen Ausbildung reflektierte sie kritisch: „Mein eigentlicher ‚fuck up‘ war nicht mein Studienabbruch, sondern der Gedanke, dass ich unbedingt studieren musste.“
 
Und dann kommt es anders als man denkt
 
Diesen Gedanken hatte auch LarsSpilles (28). Für ihn war die Frage, was er nach dem Abitur machen will, lange eine „Black Box“. Er entschied sich für ein Informatikstudium, für „etwas mit Perspektive“. Nach ein paar Semestern folgte der erste Schicksalsschlag: Lars` Vater war gestorben. Nur wenige Jahre später folgte sein Stiefvater. Die privaten Schicksalsschläge brachten Lars aus dem Takt, das Studium geriet aus dem Fokus. Durch die Tätigkeit als Werkstudent in einer Immobilienfirma reifte der Gedanke an eine klassische Ausbildung auch in ihm – als Fachinformatiker. Nach 14 Semestern war die Entscheidung getroffen, das Studium abzubrechen. Vertane Zeit? Nicht für Lars: „Erst die 14 Semester haben mich dazu befähigt, herauszufinden, was ich wirklich tun will und so konnte ich meine ‚Black Box‘ endlich mit Leben füllen.“
 
Das Konzept der „Fuckup Night“ stammt ursprünglich aus Mexiko und hat seinen Beginn im Jahr 2012 in der Gründerszene. Mittlerweile tauschen sich Menschen rund um den Globus konstruktiv übers Scheitern aus, in mittlerweile über 300 Städten. Die Zentrale Studienberatung Bonn denkt darüber nach, die „Fuckup Night“ zu einer regelmäßigen Veranstaltung zu machen denn, so Dr. Lena Ruwoldt, „Die Zahl der Studienzweifler steigt und wir wollen zeigen, dass Zweifel ein großes Thema sein dürfen.“ 
 
Weitere Informationen gibt es auf den Seiten der ZSB.
 
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