Die Diagnose traf Heinz B. unerwartet: Eine größere Eisenablagerung bedingt durch eine angeborene Stoffwechselstörung hatte seine Leber bereits enorm geschädigt und zusätzlich zu einem Lebertumor geführt. „Es war ein Schock“, sagt der 53-Jährigen. „Nach kurzer Zeit stand eine Transplantation in etwa einem Jahr fest.“ Das wäre viel Zeit für den bereits walnussgroßen Tumor weiter zu wachsen und die geplante Transplantation zu gefährden.
Doch den Tumor zu entfernen war verzwickt. Denn er lag genau in einem Netz aus Blutgefäßen. Bei der für diese Tumorgröße herkömmlichen Radiofrequenz-Ablation war jedoch die Gefahr groß, diese Blutgefäße zu verletzen. Denn die durch hochfrequente Wechselströme erzeugte Hitze fließt schnell ab und kann neben den Tumorzellen auch umgebendes Gewebe zerstören. „Als Lösung für unseren Patienten bot sich die irreversiblen Elektroporation an. Dieses weltweit sehr junge Verfahren arbeitet nur mit elektrischen Strömen ganz ohne Wärmebildung. Blutgefäße, Nerven und Bindegewebe werden nicht dauerhaft geschädigt“, sagt Prof. Dr. Holger Strunk, Oberarzt an der Radiologischen Klinik des Universitätsklinikums Bonn.
Über kleine Hautschnitte führt Radiologe Strunk bis zu sechs nadelartige Stahlsonden geleitet durch ein Ultraschall- oder CT-Bild zum Tumor. Die Nadeln – etwa so lang und dick wie eine Kugelschreibermine – dort exakt zu platzieren, ist der entscheidende aber auch der kniffligste Schritt. „Jeweils zwischen zwei Sonden wird ein elektrisches Feld aufgebaut. Dabei müssen diese einen ganz bestimmten Abstand haben, um das gewünschte Resultat zu erzielen“, erklärt Strunk. Dazu misst er deren Abstände mit Hilfe eines CT-Bildes genau. Die benötigte Zahl der Sonden hängt von der Ausdehnung des Tumors ab, der für dieses Verfahren nicht größer als vier Zentimeter sein sollte.
Wenn alle Elektroden punktgenau platziert sind, löst der Bonner Radiologe eine Serie extrem kurzer elektrischer Pulse aus. Durch die Stromschläge bilden sich Poren in der Zellwand. Bei Pulslängen von 100 Mikrosekunden mit einer Stärke von 2.000 bis 3.000 Volt wird diese wichtige Umhüllung dauerhaft geschädigt. Die Tumorzellen sterben ab, wobei laut bisherigen Erfahrungen sogar direkt benachbarte Strukturen komplett erhalten bleiben. Im Idealfall regeneriert sich das behandelte Gewebe rasch ohne Bildung von Narben.
„Bei der IRE gelingt eine scharfe Trennung zwischen zu behandelndem und gesundem Gewebe. Eine Tumorzerstörung ist so bis an die Grenze von Gefäßen möglich, ohne deren Funktionalität zu beeinträchtigen“, betont Strunk. Den einzigen Nachteil sieht er bisher darin, dass der Eingriff in Vollnarkose erfolgen muss. Da die kurzen elektrischen Pulse sonst unkontrollierte Muskelzuckungen auslösen würden.
Schnell war Heinz B. nach dem Eingriff wieder auf den Beinen. „Zwei Tage später spürte ich nur so etwas wie einen kleinen Muskelkater“, sagt er. „Dass der Tumor jetzt erst einmal weg ist, hat mich psychisch kolossal erleichtert – auch wenn er wieder kommen kann.“ Jetzt sieht der 53-Jährige, der selbst 20 Jahre einen Organspendeausweis hatte, als nächsten großen Schritt der Transplantation entgegen: „Heute lebe ich viel bewusster. Ganz wichtig ist: Meine Frau steht an meiner Seite und zieht mit mir an einem Strang.“
Um eine erneute Tumorbildung frühzeitig zu erkennen, ist für Heinz B. eine engmaschige Nachsorge notwendig. Auch ist IRE eine brandneue Methode – weltweit wurden seit 2005 etwa 400 bis 500 Patienten so behandelt. Das Prinzip wird bereits seit längerem in der Lebensmittelindustrie zur Sterilisation von mit Bakterien und Amöben verschmutztem Wasser genutzt. Bisher liegen noch keine größeren Patientenstudien und auch keine Langzeitergebnisse vor. Doch Einzelerfahrungen sind durchweg positiv – auch die der bisher am Bonner Universitätsklinikum erfolgreich mit IRE behandelten fünf Patienten.
Kontakt:
Prof. Dr. Holger Strunk
Oberarzt an der Radiologischen Klinik
Universitätsklinikum Bonn
Telefon: 0228/287-15762
E-Mail: holger.strunk@ukb.uni-bonn.de