20. Oktober 2025

Wie Immunzellen ihre tödliche Fracht abliefern Wie Immunzellen ihre tödliche Fracht abliefern

Präzision ist für Immunzellen entscheidend: Natürliche Killerzellen und T-Zellen eliminieren infizierte oder entartete Zellen, indem sie gezielt hochgiftige Partikel freisetzen. Einen tieferen Einblick wie diese sogenannten zytotoxischen Granula freigesetzt werden, gibt nun eine neue Studie des CeMM, der St. Anna Kinderkrebsforschung, der MedUni Wien, der Med Uni Graz, des Universitätsklinikums Bonn (UKB) und der Universität Bonn. In der Fachzeitschrift Science Immunology  beschreibt das Team eine unerwartete Verbindung zwischen dem Fettstoffwechsel und der Fähigkeit des Immunsystems auf, seine „tödliche Fracht“ zielgenau abzugeben – und liefert neue Einblicke in Erkrankungen, die durch genetische Defekte verursacht werden.

Bilder von Immunsynapsen, die von NK-92-Zellen gebildet werden:
Bilder von Immunsynapsen, die von NK-92-Zellen gebildet werden: - Rot: zytotoxische/lytische Granula; Grün: Sphingolipide, GM1 oder GB3; Cyan: Actin-Färbung. © Abbildung: Kalinichenko
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Unser Immunsystem ist auf spezialisierte Zellen wie natürliche Killerzellen (NK-Zellen) und T-Zellen angewiesen, um gefährliche Eindringlinge wie Viren oder Krebszellen aufzuspüren und zu zerstören. Dazu setzen sie mikroskopisch kleine „Pakete“ frei, die mit hochgiftigen Molekülen gefüllt sind – sogenannte zytotoxische Granula –, welche infizierte oder entartete Zellen abtöten. Zwar konnten durch die Untersuchung von Immunerkrankungen bereits einige Schlüsselmoleküle identifiziert werden, doch weitere Moleküle, die für diesen Freisetzungsmechanismus wichtig sein könnten, sind noch unbekannt.

In ihrer aktuellen Arbeit präsentiert ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Kaan Boztug, Professor an der MedUni Wien, Forschungsgruppenleiter an der St. Anna Kinderkrebsforschung, Adjunct Principal Investigator am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin sowie Direktor der Klinik für Pädiatrische Immunologie und Rheumatologie am UKB und Mitglied am Exzellenzcluster ImmunoSensation2 der Universität Bonn, gemeinsam mit Artem Kalinichenko, Assistenzprofessor an der Medizinischen Universität Graz und ehemaliger Senior Postdoc an der St. Anna Kinderkrebsforschung und am CeMM, sowie Jakob Huemer, ehemaliger PhD-Student am CeMM (beide ehemalige Mitglieder von Kaan Boztugs Forschungsgruppe) eine Entdeckung, die unser Verständnis der Immunabwehr grundlegend erweitert.

Mithilfe von Analysemethoden, die auf der „Genschere“ CRISPR basieren, stellten die Forscher:innen fest, dass eine unerwartete Gruppe an Genen eine zentrale Rolle bei der Freisetzung zytotoxischer Granula in menschlichen NK- und T-Zellen spielt. Überraschenderweise stehen viele dieser Gene in Zusammenhang mit dem zellulären Lipidstoffwechsel. Das Team konnte zeigen, dass bestimmte Lipide dabei helfen, dass wichtige Proteine für die kontrollierte Freisetzung der Granula an ihren korrekten Zielort innerhalb der Immunzellen gelangen – und somit das präzise Ausschalten infizierter oder entarteter Zellen sicherstellen.

Dieser Durchbruch trägt nicht nur zum besseren Verständnis der Funktionsweise von Immunzellen bei, sondern liefert auch neue Erkenntnisse über Krankheiten, die durch genetische Defekte verursacht werden – etwa seltene neurologische Störungen oder angeborene Immundefekte.

„Durch die systematische Erforschung genetischer Signalwege und die Kombination von funktioneller Genomik mit mechanistischen Folgeuntersuchungen haben wir eine neue Gruppe von Genen entdeckt, die die Funktionsweise von T- und NK-Zellen steuern und sowohl virusinfizierte Zellen als auch Tumorzellen abtöten“, sagt Ko-Erstautor Artem Kalinichenko. „Diese Erkenntnisse können helfen, genetische Erkrankungen besser zu diagnostizieren – und langfristig den Weg zu neuen Therapien eröffnen.“

„Es ist faszinierend zu sehen, dass Moleküle, die ursprünglich aus der Neurobiologie bekannt sind und mit dem Fettstoffwechsel und der Fettmodifikation in Verbindung stehen, auch für einen bestimmten Mechanismus der Immunabwehr von entscheidender Bedeutung sind“, ergänzt Jakob Huemer, ebenfalls Ko-Erstautor der Studie. „Unsere Ergebnisse werfen neue Fragen darüber auf, wie gemeinsame zelluläre Signalwege sehr unterschiedliche biologische Systeme beeinflussen.“

„Diese Arbeit zeigt, welches Potential in gemeinschaftlicher, von Neugier getriebener Forschung steckt“, fasst der leitende Autor Kaan Boztug zusammen. „Wir konnten einen völlig unerwarteten Zusammenhang zwischen der Lipidbiologie und der Funktion von Immunzellen aufdecken und damit scheinbar unabhängige biologische Prozesse miteinander verknüpfen. Diese Erkenntnisse werden uns dabei helfen, die Diagnose von Patient:innen mit seltenen Immundefekten zu verbessern, und sind auch für die zukünftige Entwicklung von Ansätzen zur Krebsimmuntherapie relevant.“

Die Studie entstand in enger internationaler Zusammenarbeit mit Forschungsteams aus Österreich, Frankreich, Schweden und Finnland und stellt einen wichtigen Schritt dar, um besser zu verstehen, wie der menschliche Körper Infektionen und Krebs bekämpft. 

Die Forschenden:
Die Forschenden: - von links: Prof. Kaan Boztug, Assistenzprofessor Artem Kalinichenko und Dr. Jakob Huemer. © Collage: St. Anna CCRI

Diese Arbeit wurde vom Europäischen Forschungsrat (ERC), dem Wissenschafts- und Technologiefonds Wien (WWTF), der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), der Medizinischen Universität Wien (MedUni Wien), dem Bundesministerium für Digitales und Wirtschaft und der Nationalen Forschungs-, Technologie- und Entwicklungsstiftung Österreichs an die Christian Doppler Forschungsgesellschaft unterstützt. 

 

Artem Kalinichenko, Jakob Huemer, Theresa Humer, Matthias Haimel, Michael Svaton, Nicolas Socquet-Juglard, Giovanna Perinetti Casoni, Celine Prakash, Maximilian von der Linde, Julia Pazmandi, Cheryl van de Wetering, Javier Nunez-Fontarnau, Anton Kamnev, Sarah Giuliani, Martin G. Jaeger, Elisa Hahn, Sarah Dobner, Andrea Rukavina, Elise Sylvander, Jacqueline Seigner, Christina Rashkova, Birgit Hoeger, Michael W. Traxlmayr, Manfred Lehner, Yenan T. Bryceson, Janna Saarela, Thomas Hannich, Irinka Castanon, Georg Winter, Loïc Dupré and Kaan Boztug: "Protein palmitoylation and sphingolipid metabolism control regulated exocytosis in cytotoxic lymphocytes”, Science Immunology, DOI: https://www.doi.org/10.1126/sciimmunol.ado3825

Prof. Dr. Kaan Boztug

Klinik für Pädiatrische Immunologie und Rheumatologie

E-Mail: kaan.boztug@ukbonn.de

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