13. Juni 2025

Ideen in Bewegung: Wie Bonn und Lille gemeinsam Zukunft denken Ideen in Bewegung: Wie Bonn und Lille gemeinsam Zukunft denken

Interview mit Dr. Christina Schröer, Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Frankreichzentrums CERC

Seit Jahren wächst die vielfältige Partnerschaft zwischen den Universitäten Lille und Bonn, die weit über klassische Austauschformate hinausgeht: interdisziplinär, innovativ und europäisch gedacht. So ist die Universität Lille beispielsweise seit 2022 auch Teil des NeurotechEU-Konsortiums und bringt dort ihre Expertise in Bereichen wie Brain-Computer-Interfaces (BCI), Neuromorphe Chips und Neurotechnologien ein. Neben dieser Zusammenarbeit bestehen langjährige Kooperationen in den Bereichen Medizin, Chemie und Pharmazeutische Chemie, die seit dem vergangenen Jahr auch auf die Geschichts- und Geisteswissenschaften ausgedehnt werden konnten. 

Höhepunkt der jüngsten Kooperation war das gemeinsame Sommeratelier „La fabrique des sciences humaines“ (Die Fabrik der Geisteswissenschaften), das jetzt in Bonn stattfand. Ausgerichtet wurde es vom Bonner Frankreichzentrum Centre Ernst Robert Curtius (CERC), das als Brücke zwischen Forschung, Sprache und Kulturimpuls fungiert. Es knüpft dabei an eine Serie gemeinsamer Projekte und gegenseitiger Besuche an: So empfing die Universität Bonn im September 2023 eine Delegation aus Lille; im April 2024 folgte ein Besuch des Bonner Rektorats in Frankreich. Auch das Erasmus+-Programm belebt den Austausch zwischen zahlreichen Fachbereichen und Studierendengruppen beider Institutionen.

Warum der Austausch und die Partnerschaft zwischen den beiden Universitäten auf viele Ebenen bedeutsam ist, erklärt Dr. Christina Schröer, Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Frankreichzentrums CERC, im Interview mit der Hochschulkommunikation. 

Dr. Christina Schröer,
Dr. Christina Schröer, - Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Frankreichzentrums CERC (Mitte), leitet eine Diskussion während der kürzlich durchgeführten Summer School „La fabrique des sciences humaines“ “ (Die Fabrik der Geisteswissenschaften). © Foto: CERC
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Frau Dr. Schröer, welche Bedeutung hat die kürzlich durchgeführte Summer School „La fabrique des sciences humaines“ für die Weiterentwicklung der deutsch-französischen Forschungskooperationen im Bereich der Geisteswissenschaften?

Während des „Atelier d’été“ war eine Gruppe von zehn Kolleginnen und Kollegen sowie Doktorandinnen und Doktoranden bei uns zu Gast. Sie sind für drei Tage nach Bonn gekommen, um sich vor Ort zu vernetzen und gemeinsam auszuloten, wo es in unseren jeweiligen Forschungsarbeiten inhaltliche Schnittmengen gibt. Unser Ziel ist es, die guten Kontakte, die sich durch erste Besuche und Tagungseinladungen ergeben hatten, zu festigen, Kooperationen weiterzuentwickeln, insbesondere in den Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften sowie den Philologien. Summer Schools sind dabei ein wirklich spannendes Format. Sie bieten die Möglichkeit, in relativ kurzer Zeit internationale Erfahrungen zu sammeln und gleichzeitig neue Kontakte zu knüpfen, die für die eigene Forschung unglaublich wertvoll sein können. Es entsteht oft sehr schnell ein intensiver Austausch. Genau das haben wir in Bonn erlebt.

Wie lief das konkret ab?

Wir haben gemeinsam zentrale Texte diskutiert, darunter Werke von Bloch, Adorno und Foucault, und es gab mehrere Projektpräsentationen aus der Geschichtswissenschaft, der Linguistik und der Kunstgeschichte. Dabei hat sich schnell eine sehr dichte, produktive Arbeitsatmosphäre entwickelt. Besonders schön war, dass Statusfragen oder die fachliche und nationale Zugehörigkeit dabei erst einmal keine Rolle gespielt haben. Es ging ganz klar um die Inhalte, das gemeinsame Nachdenken und das gegenseitige Interesse an den Ansätzen der anderen. 

Unser zentrales Thema lautete ja „Fabrik der Geisteswissenschaften“. In diesem Zusammenhang war es spannend zu beobachten, wie unterschiedlich verschiedene Fachkulturen funktionieren, und wie sehr sich darin auch Unterschiede zwischen der deutschen und der französischen Wissenschaftskultur niederschlagen. Diese Differenzen wurden nicht nur spürbar, sondern wir haben sie auch ganz bewusst thematisiert und reflektiert. Das hat die Diskussionen bereichert und neue Perspektiven eröffnet.

Wie geht es mit dem Austausch weiter?

Die Universität Lille ist ja schon länger ein verlässlicher Partner der Bonner Naturwissenschaften, insbesondere im Bereich der Hirnforschung und neuer Technologien in diesem Bereich im Rahmen der europäischen Hochschulallianz NeurotechEU. Seit 2024 arbeiten wir am CERC gezielt daran, vertiefte Kooperationen auch in den Geisteswissenschaften aufzubauen und zu stärken. Die Summer School war in diesem Zusammenhang eine Premiere – und nach den positiven Erfahrungen möchten wir dieses Format nun verstetigen. Im nächsten Jahr wollen wir uns in Lille treffen. Das hat sich für uns alle ganz natürlich ergeben, und wir freuen uns schon sehr auf die nächste Runde.

Inwiefern stärkt das Format nicht nur die fachliche Qualifikation, sondern auch die persönliche Vernetzung junger Wissenschaftler*innen aus Bonn und Lille?

Während der Diskussionen wurde sehr schnell deutlich, welche Themen besonders geeignet sind, um darauf aufbauend persönliche Kontakte zu vertiefen. Hervorheben möchte ich hierbei besonders die Geschichtsdidaktik mit dem Schwerpunkt auf Demokratieerziehung, die Umweltgeschichte, insbesondere im Zusammenhang mit dem Thema Wasserknappheit, die Literaturwissenschaft im Kontext des Fiktionalitätsparadigmas sowie die Kunstgeschichte mit einem Fokus auf Fotorealismus.

Für viele war es der erste Aufenthalt in Deutschland, richtig?

Ja, das stimmt. Insofern stellte die Veranstaltung auch eine wertvolle interkulturelle Erfahrung dar. Es kamen positive Rückmeldungen, dass es uns gelungen ist, Menschen mit zum Teil sehr unterschiedlichen Qualifikationsniveaus zusammenzubringen. Aus Bonn waren zum Beispiel fortgeschrittene Studierende im Bachelor- und Masterstudium beteiligt. Es war beeindruckend zu beobachten, wie schnell sich diese heterogene Gruppe zusammengefunden hat.

Was war das übergeordnete Ziel dieses Austauschs?

Ziel war es, das Bewusstsein sowohl für die Chancen als auch für die Herausforderungen deutsch-französischer Forschungskooperationen zu schärfen. Es war besonders erfreulich, dass die Bonner Teilnehmenden bereit waren, Französisch als Arbeitssprache zu akzeptieren. Diese Offenheit wurde von vielen als ausgesprochen positiv erlebt. Wir hoffen, dass solche Erfahrungen unsere Studierenden dazu ermutigen, selbst Auslandsaufenthalte in Erwägung zu ziehen. Und dass umgekehrt vielleicht mehr Studierende aus Lille zukünftig den Weg nach Bonn finden werden.

Wie trägt das Frankreichzentrum CERC zur Internationalisierung der Universität Bonn bei?

Das Centre Ernst Robert Curtius hat sich in den vergangenen fünf Jahren als ein neuer, engagierter Akteur im deutsch-französischen Wissensaustausch etabliert. Damit leistet es einen wesentlichen Beitrag zur Internationalisierungsstrategie der Universität Bonn in Richtung Frankreich und frankophone Welt. Mit einem vielseitigen Veranstaltungsprogramm schaffen wir Möglichkeiten zum Austausch und zur Begegnung in Bonn und vernetzen gleichzeitig Bonner Kolleginnen und Kollegen mit externen Partnern. Durch die neu entstandene Kooperation mit den geisteswissenschaftlichen Fakultäten der Universität Lille wird dieser Austausch weiter intensiviert. In den kommenden Jahren möchten wir uns beispielsweise verstärkt bei „DemoCIS“ mit einbringen, einem von Lille neu eingeworbenen Großprojekt zur Krise und Zukunft der Demokratie.  Hier wird derzeit eine Zusammenarbeit mit dem beantragten Sonderforschungsbereich „Language, discourse and power structures in (de-)democratization“ vorbereitet, die vom Transdisziplinären Forschungsbereich Individuen, Institutionen und Gesellschaften der Uni Bonn unterstützt wird. Unsere Sprecherin Anke Grutschus ist dort mit einem eigenen Teilprojekt beteiligt.

Mit welchen weiteren Partnern steht das Zentrum im Austausch?

Besonders enge Kontakte bestehen zur Sorbonne-Universität, zur Universität Nantes und zum renommierten Collège de France in Paris. Auf unserer Website geben wir einen umfassenden Überblick über die zahlreichen weiteren Studienprogramme, Netzwerke und Forschungsinitiativen, an denen wir beteiligt sind.

Ist das CERC ausschließlich forschungsorientiert oder gibt es auch Angebote für ein breiteres Publikum?

Das Zentrum versteht sich nicht nur als Ort für die Anbahnung neuer Forschungskooperationen, sondern hat auch einen klar definierten Auftrag im Bereich des Transfers und des gesellschaftlichen Dialogs. Ziel ist es, die in Bonn vorhandene Frankreich- und Europakompetenz sichtbar zu machen und für verschiedene Zielgruppen zugänglich zu gestalten. Unser Veranstaltungsprogramm ist entsprechend vielfältig und richtet sich sowohl an ein akademisches als auch an ein außeruniversitäres Publikum. Es lohnt sich, unseren monatlichen Newsletter zu abonnieren, um über aktuelle Veranstaltungen auf dem Laufenden zu bleiben.

Wie gestaltet sich der gesellschaftliche Dialog konkret?

In unseren Veranstaltungen kommen deutschsprachige, französischsprachige und weitere internationale Gäste miteinander ins Gespräch. Besonders hervorzuheben ist die privilegierte Partnerschaft mit dem Collège de France, die es uns ermöglicht, mehrfach im Jahr herausragende französische Intellektuelle und Spitzenforscherinnen sowie -forscher in Bonn zu begrüßen – sowohl für Vorträge als auch für kollegialen Austausch. Daneben organisieren wir ein breites Veranstaltungsprogramm, das politisch aktuelle Themen als auch wissenschaftliche Themen abbildet.

Gibt es Formate, die sich besonders an Studierende oder die Öffentlichkeit richten?

Ja, insbesondere die regelmäßig stattfindende Ringvorlesung „Frankreich“, die aktuell von unserer Kollegin Claudia Jacobi koordiniert wird, richtet sich gezielt an Studierende sowie an ein breiteres Bonner Publikum. In dieser Reihe werden wechselnde Themen mit Frankreichbezug behandelt, häufig unter der Beteiligung französischsprachiger Forschender und Kulturschaffender. Außerdem sind wir in Zusammenarbeit mit weiteren Partnern beispielsweise an den deutsch-französischen Online-Reihen „Zukunftswerkstatt“ und „Strategischer Dialog“ beteiligt, die eine breite Zielgruppe ansprechen.

Wie gelingt es dem CERC, ein internationales Publikum zu erreichen?

Ein, wie ich finde, herausragendes Merkmal sind unsere simultan verdolmetschten Online-Diskussionen zur politischen Aktualität, die wir unter anderem gemeinsam mit dem Institut français Bonn durchführen. Dieses einzigartige Angebot ermöglicht auch Personen, die der jeweils anderen Sprache nicht mächtig sind, die Teilnahme. Solche Veranstaltungen sind somit nicht nur eine Bereicherung für das Lehrangebot an der Universität Bonn, sondern können auch eine Wirkung in Frankreich und darüber hinaus entfalten.

Welche Rolle spielt Mehrsprachigkeit in Ihrer Arbeit – und wie gehen Sie mit sprachlichen Barrieren um?

Die Förderung von Mehrsprachigkeit ist ein zentrales Anliegen des Zentrums, das sich eng mit der Internationalisierungsstrategie der Universität verbindet. Viele unserer Veranstaltungen werden auf Französisch durchgeführt, doch je nach Thema – beispielsweise beim Deutsch-Französischen Nachhaltigkeitsdialog in Kooperation mit der Deutsch-Französischen Hochschule – werden Veranstaltungen auch auf Englisch oder mehrsprachig angeboten. Die Sprachfrage bleibt dennoch eine der großen Herausforderungen, insbesondere mit Blick auf mögliche gemeinsame Studiengänge oder integrierte Module in den Geisteswissenschaften, etwa zwischen Bonn und Lille.

Welche Perspektiven sehen Sie für die sprachliche und technische Weiterentwicklung Ihrer Arbeit?

Wir arbeiten kontinuierlich an der Weiterentwicklung unserer Angebote und sehen in modernen Übersetzungstechnologien, insbesondere solchen auf Basis Künstlicher Intelligenz, eine vielversprechende Unterstützung. Diese Tools können uns in Vorbereitung und Durchführung von Veranstaltungen entlasten, ersetzen jedoch keinesfalls den persönlichen, interkulturellen Austausch. Das wurde auch beim kürzlich durchgeführten „Atelier d’été“ mit der Universität Lille wieder deutlich.

Wohin möchte sich das CERC in den kommenden Jahren entwickeln?

Wir sind schon jetzt eines der aktivsten universitären Frankreichzentren der Bundesrepublik. An diesen Erfolg der letzten Jahre gilt es anzuknüpfen und das CERC zu einem zentralen Akteur des deutsch-französischen Wissensaustauschs in Bonn und darüber hinaus auszubauen. Unser Auftrag, Studium und Forschung mit Frankreich- und Frankophoniebezug, aber auch die Mobilität und den Dialog zwischen Deutschland und Frankreich in Bonn zu sichern und weiterzuentwickeln, ist noch nicht abgeschlossen; wir sind auch interessiert an neuen Kontakten zu den anderen Fakultäten. Ein zentrales Anliegen bleibt der persönliche Austausch – sei es durch neue Veranstaltungsformate, intensive Forschungskooperationen oder Bildungsangebote. Wir hoffen sehr, dass wir diese Arbeit in den kommenden Jahren weiter vertiefen können und noch mehr Menschen für den deutsch-französischen Dialog begeistern werden.

Professorin Dr. Birgit Ulrike Münch, Prorektorin für Internationales
Professorin Dr. Birgit Ulrike Münch, Prorektorin für Internationales - (rechts), besuchte auch das Sommeratelier „La fabrique des sciences humaines“ (Die Fabrik der Geisteswissenschaften). © Foto: CERC
Die Teilnehmenden des Sommerateliers
Die Teilnehmenden des Sommerateliers - aus Lille und Bonn tauschten sich intensiv aus. © Foto: CERC
Dr. Christina Schröer
Dr. Christina Schröer - , Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Frankreichzentrums CERC, im Interview mit der Hochschulkommunikation. © Foto: CERC

In den kommenden Wochen lädt das Frankreichzentrum CERC zu folgenden Veranstaltungen ein: 

FREITAG, 27.6. 10:00 Uhr

CERC-Salon

„We have an ocean in between some problems“ – Epistemischer Graben: Europa und die USA 2025 

Gespräch zwischen Hans Ulrich Gumbrecht (Standford) und Peter Geiss (Bonn) im Seminarraum P26, Poststraße 26, 53111 Bonn.

Eine Anmeldung über cerc@uni-bonn.de ist erforderlich. 

DIENSTAG, 1.7. 18:15 Uhr

Deutsch-Französische Zukunftswerkstatt

Gemeinsam für Europa: Welche neuen Impulse können Frankreich, Deutschland und Polen setzen?

Mit Ryszarda Formuszewicz (PISM Berlin), Martin Koopmann (Stiftung Genshagen) und Elsa Tulmets (CMB Berlin); Moderation: Andreas Noll (Deutschlandfunk) in Kooperation mit dem IF Bonn, der KAS und dem GSI, mit Unterstützung der Dt.-Poln. Gesellschaft Köln-Bonn und der Dt.-frz. Gesellschaft Bonn und Rhein-Sieg e.V. Ort: Festsaal der Uni Bonn, Am Hof 1, 53115 Bonn. Anmeldung über die KAS-Webseite  

 

DIENSTAG, 8.7. 17:00

CERC-Sommerfest

Fête Cinéma

Französischer Filmabend mit Apéro und Sommerfest auf der Dachterrasse des CERC am Rhein.

CERC, Konrad-Zuse-Platz 1-3, Bonn. Eine Anmeldung über cerc@uni-bonn.de ist erforderlich. 

 

Weitere Informationen, auch zu weiteren Veranstaltungen sowie der jeweils montags stattfindenden Ringvorlesung, finden Sie auf der Homepage des CERC

 

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