16. Juni 2025

Wie ziehen alle zur Problemlösung an einem Strang? Wie ziehen alle zur Problemlösung an einem Strang?

+++FORSCHUNGSTICKER UNI BONN: Integrierte Systemmodellierung für Nachhaltigkeitsfragen+++

Die Zusammenarbeit in großem Maßstab ist für die Verwirklichung einer nachhaltigen Zukunft entscheidend. Wie schaffen es die Akteure in komplexen Umgebungen, gemeinsam ihr Wohlergehen zu verbessern? Dr. Wolfram Barfuss, Argelander-Junior-Professor im Transdisziplinären Forschungsbereich “Sustainable Futures” der Universität Bonn, stellt in einem Perspective Paper in PNAS eine neue Methode vor, mit der die Simulation solcher Herausforderungen in Zukunft gelingen kann. 

Kollektives Handeln unter umweltbedingten Kippelementen:
Kollektives Handeln unter umweltbedingten Kippelementen: - Diese Abbildung zeigt eine Umwelt, die die Untersuchung kollektiven Handelns unter umweltbedingten Kippelementen ermöglicht. Zwei Akteure spielen ein Standardspiel um öffentliche Güter, bei dem jeder Akteur besser gestellt ist, wenn beide kooperieren. Allerdings hat jeder einen unmittelbaren Anreiz, den anderen auszunutzen. In dieser dynamischen Umwelt gibt es aber zwei Zustände: einen wohlhabenden und einen degradierten. Jeder egoistische (defektierende) Akteur erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenbruchs der Umwelt um einen Betrag qc/2. Kippt die Umwelt in den degradierten Zustand, leiden alle Akteure unter den negativen Folgen des Zusammenbruchs, solange bis die Umwelt in den wohlhabenden Zustand zurückgekehrt ist. © Abbildung: Wolfram Barfuss
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UM WAS GEHT ES?
Die Menschheit sieht sich zahlreichen Bedrohungen gegenüber, darunter auch den sogenannten Kippelementen. Diese Kippelemente bedeuten, dass selbst geringfügige Veränderungen, wie etwa ein weiterer Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre, zu abrupten und unumkehrbaren Veränderungen in den natürlichen Systemen der Erde führen können. Beispiele hierfür sind das Abschmelzen der Eisschilde, Störungen im ozeanischen Zirkulationssystem oder der Verlust des Amazonas-Regenwaldes. Um diesen Bedrohungen entgegenzuwirken, ist kollektives und kooperatives Handeln intelligenter Akteure in komplexen Umwelten notwendig. Bisher fällt es der Wissenschaft jedoch schwer, diese Komponenten gemeinsam zu beschreiben. Kollektive Phänomene lassen sich gut mit der Wissenschaft der komplexen Systeme (CSS) analysieren. Allerdings werden dabei oft die Komplexität der individuellen Ebene und der Umweltkontext vernachlässigt. Ein Modell aus der künstlichen Intelligenz, das Multi-Agenten-Verstärkungslernen (MARL), kann diese Aspekte besser erfassen. Allerdings sind die Simulationen von MARL häufig sehr rechenintensiv und schwer zu interpretieren. Daher schlagen wir vor, CSS und MARL zu verknüpfen. Dieser innovative Ansatz könnte uns dabei helfen, besser zu verstehen, warum es zu den genannten Bedrohungsszenarien kommt, und welche Maßnahmen dagegen ergriffen werden können. Wir bezeichnen diese Kombination als kollektive, kooperative Intelligenz.

HABEN SIE HIERZU EIN KONKRETES BEISPIEL?
Konkrete Anwendungsbeispiele sind neben dem Klimaproblem der Erhalt der Biodiversität oder auch übermäßiger Wasserverbrauch und die Nichtbeachtung der Tatsache, dass Länder im Hinblick auf den globalen Wasserkreislauf voneinander abhängig sind. In all diesen Beispielen hat die Umwelt eine komplexe Eigendynamik, innerhalb derer individuelle, intelligente Menschen Entscheidungen treffen müssen. Dabei werden sie durch gesellschaftliche Strukturen beeinflusst, die sie gleichzeitig mit verursachen. In unserer Studie geht es allerdings nicht darum, solche konkreten Probleme direkt zu lösen, sondern unsere Problemlösungsfähigkeit für solche Herausforderungen grundsätzlich zu verbessern.

WAS WAR DIE GRÖSSTE HERAUSFORDERUNG?
Die größte Herausforderung bestand darin, die unterschiedlichen Perspektiven von CSS und MARL zu integrieren. Beide Disziplinen haben eigene, teils verborgene Grundannahmen, die in Beziehung gesetzt werden mussten. Wir haben Koautor*innen aus beiden Bereichen eingebunden – führende Expert*innen, etwa von der Princeton University und Google DeepMind. Es war beeindruckend zu sehen, was die MARL-Expert*innen an CSS faszinierte und umgekehrt, was die CSS-Expert*innen an MARL spannend fanden. Als mir jeweils die eine Gruppe erklärte, dass der entsprechende andere Teil des Papers das Hauptergebnis sei, wusste ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

WAS IST DAS WICHTIGSTE ERGEBNIS?
Unsere Studie zeigt, dass wir durch die Kombination zweier fortschrittlicher Methoden (CSS und MARL) aus verschiedenen Disziplinen ein besseres Verständnis dafür gewinnen können, wie Kooperation in komplexen Situationen gefördert werden kann. Dies trägt dazu bei, nachhaltige Lösungen für globale Herausforderungen wie den Klimawandel zu entwickeln. Zudem verdeutlicht unsere Forschung die Bedeutung, den Erfolg und die Förderwürdigkeit von Konzepten wie den Transdisziplinären Forschungsbereichen (TRAs) der Universität Bonn.

WIE GEHT ES WEITER?
Kollektive kooperative Intelligenz bildet den Rahmen meiner Professur für Integrierte Systemmodellierung für Nachhaltigkeitstransitionen. Mein Team und ich planen, die im Paper skizzierten Ansätze in den kommenden Jahren auf konkrete theoretische und empirische Modelle anzuwenden und breiter zugänglich zu machen. Dazu habe ich ein Forschungsprojekt eingeworben, das von der Cooperative AI Foundation gefördert wird und im September letzten Jahres begonnen hat.

WIE LAUTET DIE QUELLE?
Wolfram Barfuss, Jessica Flack, Chaitanya S. Gokhale, Lewis Hammond, Christian Hilbe, Edward Hughes, Joel Z. Leibo, Tom Lenaerts, Naomi Leonard, Simon Levin, Udari Madhushani Sehwag, Alex McAvoy, Janusz M. Meylahn, and Fernando P. Santos: Collective Cooperative Intelligence, PNAS, DOI: https://doi.org/10.1073/pnas.2319948121

WO KANN ICH MEHR ERFAHREN?
Jun.-Prof. Dr. Wolfram Barfuss, Transdisziplinärer Forschungsbereich „Sustainable Futures“, Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn, E-Mail: wbarfuss@uni-bonn.de, Tel. +49-228-734476

Jun.-Prof. Dr. Wolfram Barfuss
Jun.-Prof. Dr. Wolfram Barfuss - vom Transdisziplinären Forschungsbereich „Sustainable Futures“ und vom Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn. © Foto: Gregor Hübl/Uni Bonn
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