24. August 2017

„Die Fähigkeit zur guten Lehre muss erlernt werden“ Erfahrungsbericht zum NRW-Zertifikatsprogramm „Professionelle Lehrkompetenz für die Hochschule“

Ein Gespräch mit Dr. Stephan Seiwerth über das NRW-Zertifikatsprogramm „Professionelle Lehrkompetenz für die Hochschule“ an der Universität Bonn.

NRW-Zertifikatsprogramm absolviert
NRW-Zertifikatsprogramm absolviert - Dr. Stephan Seiwerth, LL.M. (Leuven) © Foto: Studio157.de
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Dr. Stephan Seiwerth, LL.M. (Leuven) ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht der Universität Bonn und derzeit Rechtsreferendar am Landgericht Köln und lehrt seit 2013 an der Uni Bonn.

Auch in diesem Semester leitet er eine Arbeitsgemeinschaft (Schuldrecht I) an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät. Für seine Tätigkeit als Dozent wurde ihm jetzt der AG-Leiter-Preis des Fachbereichs Rechtswissenschaft verliehen.

Durch seine Teilnahme am NRW-Zertifikatsprogramms „Professionelle Lehrkompetenz für die Hochschule“  hat Seiwerth sich gemeinsam mit anderen Lehrenden mit innovativen Lehrmethoden auseinandergesetzt.

 

Was hat Sie dazu bewogen, den Weg der Forschung und Lehre einzuschlagen?

Seiwerth: Zu Beginn der Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter oder als Wissenschaftliche Mitarbeiterin ist man zur Lehre verpflichtet – die Motivation zum Lehren stand somit zunächst nicht im Vordergrund. Das änderte sich schnell: Die Erfolgserlebnisse der Studierenden fand ich sehr befriedigend und habe deshalb die Tätigkeit als Lehrender auch über die eigentliche Lehrverpflichtung hinaus  fortgesetzt.

Wie sind Sie auf das NRW-Zertifikat aufmerksam geworden und was hat Sie dazu bewogen, dieses Zertifikat zu absolvieren?

Seiwerth: Irgendwann ist mir ein Flyer von der Veranstaltung „Visualisierung in der juristischen Lehre“ in die Hände gefallen – da habe ich erst gedacht, dass das Zeitverschwendung sei. Dann bin ich aber doch hingegangen und plötzlich erschien mir der Gedanke naheliegend, etwas über das Lehren zu lernen. So bin ich da reingeraten. Ein nettes Bonbon ist außerdem, dass das Programm mit seinen 200 Arbeitseinheiten u.a. als Nachweis einer didaktischen Befähigung für das Berufungsverfahren als Professor bzw. Professorin behilflich sein kann.

Was genau ist das NRW-Zertifikatsprogramm „Professionelle Lehrkompetenz für die Hochschullehre“? Enthält das Programm auch juraspezifische Komponenten?

Seiwerth: Im Prinzip kann man das NRW-Zertifikat als strukturiertes Lernprogramm für Lehrende bezeichnen. Ich habe es von Anfang an als erfrischend empfunden, dass man nicht nur mit Juristen und Juristinnen zu tun hatte. Unser Fachbereich ist sogar sehr unterrepräsentiert. Ich weiß nicht ob das etwas Gutes oder Schlechtes über unseren Fachbereich aussagt (lacht), aber jedenfalls sind die Naturwissenschaften und andere Geisteswissenschaften deutlich stärker vertreten. In anderen Bereichen gibt es auch ganz andere Probleme, die wir in der juristischen Lehre so nicht kennen, beispielsweise werden dort Texte für Seminarsitzungen nicht gelesen. Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten: Wie bekomme ich die Studierenden dazu, mitzuarbeiten und sich nicht nur berieseln zu lassen? Wie komme ich in der kurzen Vorlesungszeit mit der Fülle an Stoff zurecht? Es gibt drei juraspezifische Veranstaltungen , die sich spezifisch an juristische Lehrende richten.

Wie genau kann man sich eine solche Veranstaltung vorstellen?
 
Seiwerth: Die Veranstaltungen ähneln Workshops sehr. Für mich als Juristen ist dies eine sehr ungewohnte Lernform. Neben einer allgemeinen Veranstaltung „Lehren und Lernen“, das jeder absolvieren muss, ist man in der Wahl der Veranstaltungen sehr frei. Von allgemeinen Veranstaltungen wie etwa „Aktivierendes Lehren mit Methoden“ bis hin zu sehr speziellen Thematiken („Urheberrecht in der Lehre“) stehen Veranstaltungen aus verschiedenen Themengebieten zur Auswahl.  Die einzelnen Veranstaltungen kann man individuell nach den eigenen Stärken und Schwächen zusammenstellen. Bei Problemen mit dem Erstellen von Prüfungsaufgaben oder dem kompetenzorientierten Bewerten können passende Einheiten belegt werden. In Bonn wird eine große Auswahl an Veranstaltungen angeboten.

Sehen Sie Möglichkeiten, das Programm und die einzelnen Veranstaltungen zu verbessern?

Seiwerth: Ich sehe kaum Verbesserungsbedarf. Es ist zwar selten so gewesen, dass ich etwas vollkommen Neues erlernt habe, aber es ist auch nie passiert, dass ich ohne etwas Neues – also einer Idee, Anregung oder Verbesserungsmöglichkeit – aus der Veranstaltung gegangen bin. Ich habe irgendwann – inspiriert durch die Workshops – angefangen zu zeichnen und mir Visualisierungssysteme zu überlegen. Zunehmend nutze ich Technik in meinen Veranstaltungen. Am Anfang habe ich lediglich Unterlagen bei „ecampus“ hochgeladen. Heute stelle ich den Studierenden über „ecampus“ konkrete Aufgaben und nutze die Möglichkeit von Live-Votings: Welche Meinung finden Sie überzeugender? Welche Anspruchsgrundlage ist die richtige? Die Antworten der Studierenden sind anonym. Hierdurch bekomme ich eine Rückmeldung – und bin dann auch froh, dass es mal drei Minuten ruhig ist.

Welche Herausforderungen sehen Sie im Zusammenhang mit der zunehmenden Digitalisierung?

Seiwerth: In der Digitalisierung sehe ich vor allem Chancen. Ich habe einen LL.M. an der Universität Leuven (Belgien) gemacht. Dort gab es ein richtig spannendes Projekt: In der ersten Hälfte der Vorlesung haben Studierende eine Videoaufzeichnung einer Vorlesung zum europäischen Sozialrecht von einer Partneruniversität aus u.a. Dänemark, Polen oder Ungarn gesehen. In der zweiten Hälfte wurde das Gesehene diskutiert. Auch die eigene Vorlesung wurde für die Studierenden in den anderen Ländern gefilmt. Diese europäische Perspektive, die uns auf das Recht geboten wurde, wäre ohne Digitalisierung nicht möglich gewesen. Dieses Konzept fand ich herausragend. Das fehlt uns hier in Deutschland oft noch. Die Chance, von klugen Köpfen aus anderen Ländern zu lernen, müssen wir erst noch ergreifen. Chancen müssen allerdings sinnvoll genutzt werden. Pflichtschuldige Powerpoint-Präsentationen sind der Digitalisierung nicht dienlich. Digitalisierung ist schließlich kein Selbstzweck, sodass sie nicht um der Digitalisierung willen betrieben werden sollte.

Was nehmen Sie aus dem NRW-Zertifikat für Ihre weitere Forschung und Lehre mit?

Seiwerth: Ich nehme die Erkenntnis mit, dass für die eigene Lehrpersönlichkeit eine Verbesserung stets möglich ist. Das NRW-Zertifikatsprogramm kann ich darum sehr empfehlen. Man erfährt nicht nur viel übers Lehren, sondern auch viel über sich als Lehrer und damit auch viel über die eigene Person. Natürlich ist das NRW-Zertifikat mit seinen 200 Arbeitseinheiten auch sehr zeitintensiv - ich habe es im Wesentlichen in meiner Freizeit absolviert. Hierfür habe ich rund zwei Jahre gebraucht, sehr viel schneller geht’s auch kaum.
 
Wie stellen Sie sich Ihren weiteren Werdegang vor?

Seiwerth: Ich hoffe, dass ich in NRW eine Habilitationsstelle finde, sodass ich meine Karriere an der Hochschule als Habilitand beginnen bzw. fortsetzen kann. Mein Schwerpunkt liegt hierbei im Arbeits- und Sozialrecht. Es wäre schön, wenn das klappt!

Das Interview mit Dr. Stephan Seiwerth führten Vivien Herrmann und Maryia Nashkevich.

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