21. Juni 2013

Gut, dass es die Welt nicht gibt Gut, dass es die Welt nicht gibt

Frisch aus der Denkerschmiede der Universität Bonn: Eine philosophische Antwort auf die moderne Resignation

Als Prof. Dr. Markus Gabriel Professor für Philosophie an der Universität Bonn wurde, war er der Jüngste seines Standes in der Bundesrepublik, woran sich noch nichts geändert hat. Jetzt legt er eine erste Gesamtdarstellung seines Denkens vor: Sein Buch „Warum es die Welt nicht gibt“ ist ein engagiertes Plädoyer für den Mut zur Sinnfrage und für mehr Vielfalt in der Wissenschaft.

Prof. Dr. Markus Gabriel
Prof. Dr. Markus Gabriel - vom Institut für Philosophie der Universität Bonn. © Foto: Volker Lannert/Uni Bonn
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Sonne, Wasser, Wellen – das alles ist nicht da? Wer an einem schönen Sommertag am Strand liegt, wird den Satz „Warum es die Welt nicht gibt“ als bestenfalls überflüssig empfinden. Ganz bewusst gewählt hat diesen provozierenden Titel für sein neues Buch jedoch Prof. Dr. Markus Gabriel, Philosophieprofessor an der Universität Bonn und Inhaber des Lehrstuhls für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und Gegenwart. Der Grund liegt in der Arbeitsweise der Philosophie. Sie zerlegt keine Elementarteilchen, sondern Gedanken und Begriffe, und gelangt damit zu Erkenntnissen, die dem Menschen behilflich sein können.

Weil ein Philosoph den genauen Inhalt der Worte kennen will, mit denen er arbeitet, hat Prof. Gabriel sich gefragt, was wir mit „es gibt“ und „Welt“ eigentlich meinen. Er hat beobachtet, dass menschliches Denken die „Existenz“ einer Sache damit gleichsetzt, dass sie in Raum und Zeit vorkomme. „Im Französischen heißt »es gibt« wörtlich »es hat dort«. Im Chinesischen heißt es »enthalten sein in«. Wir sagen, etwas »existiert«, und meinen: »Es kommt in der Raumzeit vor.«“ So weit verbreitet dieser Gedanke, so sinnlos sei er aber auch. „Worin ist denn die Raumzeit enthalten? Und wenn es noch Größeres gibt als sie – worin befindet sich dieses Größere?“ Prof. Gabriel konstatiert eine ausweglose Endlosschleife – erst recht, wenn man statt des Universums die „Welt“ untersucht. Die sei noch viel mehr als alle Atome, Planeten und Galaxien: „Sie enthält vieles, was niemals wirklich »im Universum dagewesen« ist. Unsere Träume zum Beispiel, oder Charaktere wie Faust oder Macbeth.“ Philosophische Folgerung: Der Begriff der „Existenz der Welt“ ist denkerisch sinnlos. Es gäbe immer noch mehr als die Welt.

Gegen eine Diktatur der Einzelwissenschaften

Das alles klingt wie praxisferne Sprachspielerei. Ist es aber nicht. Für Prof. Gabriel folgt daraus die entschiedene Absage an jene verbreitete Resignation, die er den „modernen Nihilismus“ nennt. „Wir sehen diesen riesigen Kosmos und glauben, dass wir bedeutungslose Ameisen sind.“ Alle Ethik, alle Kunst, selbst das eigene Leben erscheinen dem Menschen dann als „sinnlos“. Prof. Gabriel will das denkerisch zurückweisen. „Wenn ich zeigen kann, dass es kein »großes Ganzes gibt« – dann gibt es auch nicht dieses große Ganze, das uns erdrückt. Ich kann dann zeigen, dass Kunst, Ethik oder Religion keine Spielereien sind, sondern Aufschlüsse geben können, wie wir leben sollten. Wie Kreativität in der Kunst uns weiterbringt. Oder was die Religion meint, wenn sie sagt: Wir sind Teil des Unendlichen, und das Unendliche ist in uns.“

Prof. Gabriels zweite Folgerung ist, dass das naturwissenschaftliche Weltbild von dem Sockel heruntergehört, auf den es der sinnlose Begriff vom „Existieren“ im Lauf der Jahrhunderte gestellt habe. „Die Welt hat ein Übermaß an Sinnmöglichkeiten. Die Naturwissenschaft sagt aber, es gebe nur einen einzigen Sinn – den man dann gleich in eine Weltformel pressen will, in die Antwort auf alle Fragen.“ Der Bonner Denker will damit ausdrücklich „nicht sagen, dass die Menschheit keine Naturwissenschaft mehr betreiben soll. Wir sollten sie nur nicht als komplettes Weltbild betreiben. Solche Weltbilder sind unterkomplexe Beschreibungen, in denen wir uns nicht wiederfinden. Unser Sinnbedürfnis wird beschnitten.“ So gebe es immer wieder Tendenzen, einzelne Wissenschaften im öffentlichen Diskurs zum Alleinherrscher zu erheben: „Erst war es die Psychologie. Dann die Gesellschaftslehre. Dann die Physik. Und heute sagen manche Leute, der Mensch sei nur eine Art Verlängerung seiner Gehirnfunktionen.“ Dies alles kritisiert Prof. Gabriel als „eine Form von Totalitarismus im Denken.“

Philosophie als Gesprächsangebot

Als Gegenentwurf beschreibt er die Vision einer „ausdifferenzierten Denklandschaft, wie wir in der Demokratie eine ausdifferenzierte Gesellschaft haben. Niemand kann und soll da alleine regieren.“ Sein Denkmodell – er nennt es den „Neuen Realismus“ – ist für ihn „ein Gesprächsangebot an alle Sphären der Gesellschaft und der Wissenschaft. Philosophie ermöglicht zwar einen gewissen Überblick über das Unendliche – aber sie kann trotzdem nicht alleine arbeiten.“ Sein Buch, für breite Leserkreise gedacht und formuliert, will nicht „eine Erklärung von allem“ sein, sondern eine Aufforderung zur wissenschaftlichen Zusammenarbeit. „Lassen wir alle Stimmen frei und nehmen Kontakt auf. Und dann kann man sehen, wer sich in diesem Gespräch bewährt.“

Publikation: Gabriel, Markus: Warum es die Welt nicht gibt. Ullstein, 272 S., 18 Euro

Kontakt:

Prof. Dr. Markus Gabriel
Institut für Philosophie
Lehrstuhl für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und Gegenwart
Tel. 0228 / 73-5067 oder 73-54014
markus.gabriel@uni-bonn.de

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