19. Mai 2025

Fühlen mit den Beinen: Was Fliegen beim Gehen wahrnehmen – und was nicht Fühlen mit den Beinen: Was Fliegen beim Gehen wahrnehmen – und was nicht

+++ FORSCHUNGSTICKER UNI BONN: Biologie +++

Wie nehmen Insekten ihre mechanische Belastungen wahr? Diese Fähigkeit ist für verschiedene Disziplinen von Interesse - von der vergleichenden Morphologie über die Neurobiologie bis hin zur Robotik. Ein Team um Dr. Brian Saltin am Bonner Institut für Organismische Biologie der Universität Bonn hat ein Computermodell entwickelt, das hilft, diese Frage für die Taufliege Drosophila zu beantworten. Im Fokus stehen winzige Sinnesorgane, die in der Nähe der Beingelenke sitzen und mechanische Belastungen registrieren. Mithilfe des neuen Modells konnten die Forschenden untersuchen, wie Lage, Ausrichtung und Materialeigenschaften dieser Sensoren ihre Funktion beeinflussen. Die Simulation zeigt: Beim normalen Vorwärtsgehen werden diese Sinnesorgane an dieser Stelle vermutlich nicht allein durch die Kraft des Auftretens aktiviert. Die Ergebnisse sind nun im Journal of the Royal Society Interface erschienen.

Taufliege: Drosophila melanogaster
Taufliege: Drosophila melanogaster - Links: Die Pfeile markieren die Position von den kleinen Sinnesorganen (femorale CS-Felder) der Taufliege (Drosophila melanogaster); der weiße Pfeil die des in der Studie verwendeten Feldes. Rechts: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines femoralen CS-Feldes der Taufliege (Drosophila melanogaster). Der Maßstab beträgt 10 Mikrometer. © Collage: links: Colourbox.de/rechts: Brian Saltin/Universität Bonn
Alle Bilder in Originalgröße herunterladen Alle Rechte vorbehalten!
Bitte füllen Sie dieses Feld mit dem im Platzhalter angegebenen Beispielformat aus.
Die Telefonnummer wird gemäß der DSGVO verarbeitet.

UM WAS GEHT ES?

Ziel der Studie ist es zu verstehen wie Insekten, die ein vergleichsweise einfaches Nervensystem haben, ihre vielen Beine koordinieren. Das ist zum einen aus biologischer Sicht wichtig, da Insekten eine der größten Tiergruppen sind. Zum anderen hilft es, elementare Prozesse besser zu verstehen, gerade weil sie ein einfaches Modellsystem für neurologische Prozesse sind. Das kann sowohl Neurobiologie wie Robotik insgesamt gesehen weiterbringen. Wir haben uns dabei auf die Taufliege Drosophila konzentriert und winzige Sinnesorgane in der Nähe der Beingelenke – sogenannte campaniforme Sensillen – untersucht.

WIE SIND SIE VORGEGANGEN?

Wir haben für unsere Studie drei Methoden kombiniert: Mit Hochgeschwindigkeitskameras haben wir die dreidimensionale Bewegung der Fliegenbeine aufgenommen. Unsere Partner in den USA haben mit als „inverse kinematics“ und „inverse dynamic“ bekannten Methoden aus den Bewegungen die relevanten Kräften beim Auftreten  berechnet. Als letztes Puzzleteil wurden die genaue innere und äußere Geometrie der tausendstel Millimeter großen Sinnesorgane mithilfe von Elektronenmikroskopie erfasst. Die Ergebnisse der drei Methoden flossen in einer Computersimulation zusammen, die die Verformung der Sinnesorgane beim Laufen simuliert. Schließlich haben wir die Verformungslevel mit der aus der Literatur bekannten Verformung verglichen, die notwendig ist, um Sinneszellen durch Ioneneinstrom mechanisch zu aktivieren.

WAS SIND DIE WICHTIGSTEN ERKENNTNISSE?

Mithilfe unseres Modells konnten wir zeigen, dass beim normalen Vorwärtsgehen die Belastung zu gering ist, um diese kleinen Sinnesorgane am Oberschenkel zu aktivieren. Unsere Ergebnisse stützen damit alternative Erklärungsmodelle zur Aktivierung und Funktion des Sinnesorgan an dieser Position, zum Beispiel durch lokale Muskelkräfte – Fliegen sind zwar nicht so stark wie Ameisen, für ihre Größe aber dennoch enorm kräftig. Insekten haben viele mechanische Sinnesorgane, nicht alle davon müssen für jedes einzelne Verhalten Input liefern, es ist also Teil eines stetig wachsenden und faszinierenden Puzzles. Das Modell ist nun als Open Source verfügbar und hat das Potenzial, an andere Tieren und Fragestellungen angepasst zu werden.

WIE GEHT ES WEITER?

Wenn Vorwärtslaufen nicht ausreicht, um diesen Teil des mechanischen Wahrnehmungssystems zu aktivieren, werden wir nach anderen Verhalten bzw. Bewegungssituationen suchen, die dafür in Frage kommen, zum Beispiel, die Fähigkeit von Fliegen, an der Decke kopfüber laufen zu können. Außerdem schauen wir nach anderen Modellsystemen und planen, andere Sinnesorganpositionen zu testen – Insekten haben fast überall an Beinen und Körper solche Sinnesorgane.

Saltin Brian D., Goldsmith Clarus, Haustein Moritz, Büschges Ansgar, Szczecinski Nicholas S. and Blanke Alexander. 2025: “A parametric finite element model of leg campaniform sensilla in Drosophila to study campaniform sensilla location and arrangement”. J. R. Soc. Interface. DOI: http://doi.org/10.1098/rsif.2024.0559

Dr. Brian D. Saltin
Bonner Institut für Organismische Biologie (BIOB)
Universität Bonn
Tel.: +49 (0) 228 73 5134
E-Mail: bsaltin@evolution.uni-bonn.de

Wird geladen