09. Juni 2022

Cyanobakterien nutzen den Lotuseffekt Cyanobakterien nutzen den Lotuseffekt

Wasserabstoßung als erster Schritt zum Leben an Land vor einer Milliarde Jahren

Wassertropfen perlen einfach ab – und reinigen dabei auch noch die Oberfläche und reduzieren etwa den Befall mit Pilzsporen. Aber nicht nur Pflanzen verfügen über den „Lotuseffekt“, den Professor Wilhelm Barthlott von der Universität Bonn vor vier Jahrzehnten entdeckte. Auch landlebende Cyanobakerien (Hassallia byssoidea) nutzen die extreme Wasserabstoßung, um sich vor Wasserfilmen und Konkurrenten zu schützen. Das berichtet eine Forschungsteam um Barthlott im Journal „Frontiers in Plant Science“. 

Auf dem superhydrophoben Biofilm des Cynobakteriums Hassallia
Auf dem superhydrophoben Biofilm des Cynobakteriums Hassallia - bleiben Wassertropfen kugelrund stehen und transportieren die Zellfäden zur Verbreitung weiter. © Foto: W. Barthlott/Uni Bonn
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Pflanzen und andere Organismen haben seit fast einer halben Milliarde Jahre Strukturen und Mechanismen zur Besiedlung von Land entwickelt. In diesem Zusammenhang sind ihre Oberflächen, die entscheidende physikalische Schnittstelle mit der Umwelt, hauptsächlich als Barrieren gegen Wasserverluste. Bonner Forschende vermuten, dass die extreme Wasserabstoßung (Superhydrophobie) und damit verbundene Selbstreinigung (Lotuseffekt) ein zusätzlicher Schlüssel für den Übergang der Algen vom Wasser zum Land vor etwa 400 Millionen Jahren war. „Die Superhydrophobie verbessert den Gasaustausch an Land und schließt aquatische Konkurrenten in Wasserfilmen aus“, schreibt das Forschungsteam im Journal „Frontiers in Plant Science“.

In den Materialwissenschaften und der Oberflächentechnologie ist die Superhydrophobie ebenfalls zu einer der wichtigsten bioinspirierten Innovationen geworden, die es ermöglicht, Wasserfilme und Verschmutzung - etwa bei Fassadenfarben und Lacken - zu vermeiden. In dem Beitrag zeigen die Forschenden an einen extrem wasserabweisenden Biofilm des austrocknungstoleranten Cyanobacteriums Hassallia byssoidea, dass der Ursprung der Superhydrophobie viel älter ist als bisher angenommen. Er könnte auf die Zeit vor rund ein bis zwei Milliarden Jahren zurückgehen.

Das vielzellige Bakterium bildet „algenartige“ Fäden aus, die extrem wasserabstoßend sind und Wasserfilme verhindern. An den abrollenden Wassertropfen bleiben kurze Zellfäden hängen und sorgen für die Verbreitung des Organismus über eine Art Tröpfen-Infektion, die man als „Splash Dispersal“ bezeichnet. Überflutet wird der Bakterienrasen nach etwa einem Tag benetzbar und wächst unter Wasser weiter – und wieder ausgetrocknet erreicht er wieder seine Wasserabstoßung für das Leben an Land.

„Jetzt haben wir belastbare Daten für Cyanobakterien in terrestrischen Biofilmen, die von einem hydrophilen in einen stabilen superhydrophoben Zustand wechseln können – und wir gehen davon aus, dass die Superhydrophobie eine entscheidende evolutionäre Rolle beim Übergang fast aller Organismen an Land spielte“ sagt Prof. Barthlott. Es ist kein Zufall, dass Cyanobakterien bei den ältesten bekannten Fossilien, den Stromatolithen, eine Rolle spielen. Stromatolithen sind teilweise über zwei Milliarden Jahre alt. Wie Baumkuchen bestehen sie aus dünnen Schichten aus Bakterienmatten, wohl vor allem Cyanobacterien, die man allgemein als erste Landbewohner ansieht.

Die Arbeit zeigt eindrucksvoll, wie Superhydrophobie von den Bakterien über Grünalgen, Schleimpilze, Moose und Farnartige sich über die ursprünglichste Blütenpflanze Amborella bis hin zu den Lotusblättern entwickelt hat. Es steckt eine Milliarde Jahre der Evolution hinter einem Effekt, der heute als Superhydrophobie biomimetisch eine alltägliche industrielle Anwendung gefunden hat.

Publikation: Barthlott, W., Büdel, B., Mail, M., Neumann, K.M., Bartels D. & E. Fischer: Superhydrophobic terrestrial Cyanobacteria and land plant transition, Front. Plant. Sci, https://doi.org/10.3389/fpls.2022.880439

Dieser wasserabstoßende Cyanobakterienfilm (Hassallia)
Dieser wasserabstoßende Cyanobakterienfilm (Hassallia) - hat sich im Botanischen Garten der Universität Bonn über Jahre entwickelt. © Foto: K.M. Neumann/Uni Bonn
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