05. November 2008

Leuchtendes Vorbild in finsteren Zeiten Leuchtendes Vorbild in finsteren Zeiten

Die Familie des Bonner Professors Paul Kahle bewies bei den Novemberpogromen 1938 Zivilcourage

Als am 10. November 1938 in Bonn die Synagoge brannte, sahen viele Deutsche weg. Nicht so die Ehefrau des Bonner Orientalistik-Professors Paul Kahle: Marie Kahle und ihre Söhne halfen in dieser finsteren Zeit zahlreichen jüdischen Mitbürgern. Sohn Wilhelm wurde dafür der Universität verwiesen, sein Vater suspendiert. Als die Hetzkampagne gegen die Kahles immer bedrohlichere Züge annahm, floh die Familie nach England.

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 nutzten die Nazis das Attentat auf das NSDAP-Mitglied Ernst Eduard vom Rath, um mit beispielloser Härte gegen die Juden in Deutschland vorzugehen. Über Bonn brach die Welle der Gewalt erst am Tag danach herein: Zahlreiche jüdische Geschäfte wurden zerstört, ihre Besitzer vor den Augen ihrer Nachbarn misshandelt und bedroht. Die Kahles waren angesichts der brutalen Pogrome fassungslos " allen voran die Ehefrau des Bonner Orientalisten. Ihre Söhne und sie halfen an diesem 10. November und in den Tagen danach jüdischen Freunden und Bekannten, wo sie nur konnten.

Kurz darauf wurden Marie Kahle und ihr ältester Sohn Wilhelm von der Polizei im Laden jüdischen Geschäftsfrau Emilie Goldstein aufgegriffen. Sie hatten ihr geholfen, die zerstörten Räumlichkeiten wieder herzurichten. Am 17.11.1938 erschien im Westdeutschen Beobachter unter der Überschrift "Das ist Verrat am Volke" ein Hetzartikel über die Hilfsaktion. Gleichzeitig wurde Paul Kahle vom Dienst suspendiert; er durfte die Uni fortan nicht mehr betreten. Sein Sohn Wilhelm studierte damals in Bonn Musik. Er musste vor dem Universitätsgericht erscheinen und wurde wegen "unwürdigen Verhaltens" der Hochschule verwiesen. Das war nur der Auftakt zu einer Hetzkampagne, die immer bedrohlichere Züge annahm. Schließlich flohen die Kahles im Frühjahr 1939 nach England.

Nach Kriegsende wurden die Urteile der Universitäts-Gerichtsbarkeit aus der Nazizeit für nichtig erklärt. Zu einer öffentlichen Rehabilitation der Opfer kam es aber erst 1998: Zum 60. Jahrestag der Reichspogromnacht wurden im Festsaal der Universität die Namen sämtlicher Hochschulangehöriger verlesen, denen die Universität während des Naziregimes Unrecht zugefügt hatte. Der damalige Rektor Professor Dr. Klaus Borchard erklärte dazu ausdrücklich und öffentlich alle damals gesprochenen Urteile für unwirksam.

Marie Kahle hat ihre Erinnerungen an die Ereignisse nach den Novemberpogromen und die Flucht in ihrem Buch "Was hätten Sie getan?" festgehalten. Sie starb 1948 in England. Am ehemaligen Wohnhaus der Professorenfamilie in der Kaiserstraße 61 erinnert heute eine Metalltafel an die couragierte Frau. Zudem trägt eine Straße im Bonner Bundesviertel ihren Namen. Ihr Portrait ist seit 2005 in das Pflaster der Bonngasse eingelassen.




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