21. Juli 2008

Überaktive Immunabwehr macht im Alter blind Überaktive Immunabwehr macht im Alter blind

Neue Erkenntnisse zur Entstehung von Altersblindheit

Die altersabhängige Makuladegeneration (AMD) ist die häufigste Erblindungsursache in den westlichen Industrienationen. Erblich bedingte Veränderungen in der Regulation des Immunsystems beeinflussen das Risiko, an einer AMD zu erkranken. Dass die Immunabwehr bei der Altersblindheit im ganzen Körper überaktiv ist, haben Augenärzte des Universitätsklinikums Bonn gemeinsam mit Forschern aus Göttingen, Regensburg und Großbritannien jetzt erstmals nachgewiesen.

Die bisherigen Erkenntnisse über die Prozesse, die zur Altersblindheit führen, hat jetzt ein deutsch-englisches Forscherteam mit Beteiligung von Immunologen der Universitätsmedizin Göttingen um einen weiteren wichtigen Aspekt ergänzt. Erstmals konnten sie zeigen: Das Immunsystem ist bei Menschen mit AMD im ganzen Körper überaktiv. Bislang war unbekannt, ob eine solche, den ganzen Körper betreffende Immunreaktion bei dieser Augenerkrankung eine Rolle spielt.

Durchgeführt wurde die Untersuchung von Forschern aus Bonn, Göttingen, Regensburg und Oxford. Privatdozent Dr. Hendrik Scholl von der Universitätsaugenklinik Bonn leitete die Studie, die von der Europäischen Kommission und der Selbsthilfevereinigung Pro Retina Deutschland gefördert wurde. Die Ergebnisse des Forscherteams wurden in der aktuellen Ausgabe des Online-Journals Public Library of Science (PloS) ONE veröffentlicht: http://www.plosone.org/article/info:doi/10.1371/journal.pone.0002593

Fehler im (Immun-) System

Das deutsch-englische Forscherteam folgte der Hypothese, dass eine Ursache für das Auftreten der Altersblindheit AMD eine Fehlregulation des so genannten Komplementsystems sein könnte. Das Komplementsystem ist ein wichtiger Bestandteil der angeborenen Immunabwehr und ist an Entzündungsreaktionen beteiligt. Es war bisher lediglich bekannt, dass Veränderungen von Genen, welche die Erbinformation für Proteine des Komplementsystems enthalten, das Risiko, an einer AMD zu erkranken, erhöhen. Einige dieser Proteine aktivieren, andere hemmen das Komplementsystem.

Das Wissenschaftlerteam untersuchte Blut von insgesamt 112 AMD-Patienten und 67 gesunden Vergleichspersonen auf Anzeichen eines fehlregulierten Komplementsystems. Gesucht haben die Mediziner nach Veränderungen in der Konzentration von Proteinen, die auf eine Aktivierung des Komplementsystems hinweisen. Die Experimente erfolgten in der Abteilung für Zelluläre und Molekulare Immunologie der Universität Göttingen unter Leitung von Professor Dr. Martin Oppermann. Tatsächlich zeigten die Untersuchungen des Patientenbluts deutliche Konzentrationsveränderungen mehrerer Komplementproteine, die außerdem mit den zuvor identifizierten erblichen Faktoren eng korrelierten.

Unterschwellige Entzündungssituation

"Unsere Studie weist erstmals nach, dass das Komplementsystem bei AMD-Patienten überall im Körper überaktiv ist", sagt Dr. Hendrik Scholl. Die typischen Substanzen, welche die dauerhafte Entzündungsreaktion anzeigen, zirkulieren im Blut. "Die Ergebnisse lassen vermuten, dass die Ursache für die Altersblindheit eine permanente unterschwellige Entzündungssituation des Körpers ist. Offenbar kann das jahrzehntelang folgenlos bleiben, im höheren Lebensalter aber zu Krankheitserscheinungen führen. Die Stelle des schärfsten Sehens in der Mitte der Netzhaut scheint dabei der krankheitsanfällige Ort zu sein", sagt Scholl.

In Deutschland leiden schätzungsweise 4,5 Millionen Menschen an einer altersabhängigen Makuladegeneration (AMD). Bei dieser Erkrankung wird die Stelle des schärfsten Sehens auf der Netzhaut (Makula) zunehmend geschädigt. Die Menschen können nicht mehr lesen, die Fähigkeit zur selbstständigen Lebensführung geht verloren. Über die Ursachen dieser Erkrankung wussten Augenärzte bislang vergleichsweise wenig: Erbfaktoren spielen eine Rolle, aber auch beeinflussbare Faktoren wie das Rauchen.


Kontakt:
Priv.-Doz. Dr. Hendrik Scholl
Universitäts-Augenklinik Bonn
Telefon: 0228-287-15505
E-Mail: hendrik.scholl@ukb.uni-bonn.de




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