02. Mai 2013

Nachbarschaftshilfe im Gehirn Nachbarschaftshilfe im Gehirn

Biologen der Universität Bonn identifizieren ungewöhnlichen Schutzmechanismus

Manche Zellen im Gehirn praktizieren eine ungewöhnliche Form der Nachbarschaftshilfe. Zu diesem Schluss kommen Biologen der Universität Bonn in einer aktuellen Studie. Der Mechanismus schützt bei Mäusen ein wichtiges Hirnprotein, das zur Stabilität der elektrischen Isolierung von Nervenbahnen beiträgt. Möglicherweise werfen die Ergebnisse auch ein neues Licht auf bestimmte Hirnerkrankungen des Menschen. Die Arbeit erscheint jetzt im "Journal of Neuroscience".

Die Forscher am Bonner LIMES-Institut (das Akronym steht für „Life and Medical Sciences“) haben in ihrer Arbeit die so genannten Connexine unter die Lupe genommen. Diese Proteine können winzige Röhrchen bilden, über die Zellen kleine Moleküle austauschen können. Dazu docken die Connexin-Halbkanäle zweier Nachbarzellen aneinander an und bilden gemeinsam einen interzellulären Tunnel.

Connexine können nicht nur Zellen des gleichen Typs miteinander verbinden. Die Bonner Wissenschaftler interessierten sich insbesondere für die Kanälchen zwischen zwei bestimmten Arten von Gehirnzellen – den Oligodendrozyten und den Astrozyten. Beide gehören zur so genannten Neuroglia, die man ursprünglich für eine Art Bindegewebe im Gehirn hielt (Glia kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie Leim oder Kitt).

Inzwischen weiß man, dass die Neuroglia weit mehr ist als schnöder Nervenkitt: Sie übernimmt bei der Informationsverarbeitung viele wichtige Aufgaben. Dabei tauschen die Gliazellen über ihre Connexine ein ganzes Arsenal von Molekülen aus. Astrozyten produzieren dazu unter anderem das Connexin Cx43; Oligodendrozyten verfügen dagegen über das Connexin Cx47. Cx43 und Cx47 sind miteinander kompatibel; sie können also einen Gemeinschaftstunnel bilden.

Schutzanstrich für Connexine

Die Bonner Wissenschaftler haben nun herausgefunden, dass diese Kooperation auch aus einem anderen Grund wichtig ist: Wenn ein Cx43-Halbkanal an einen Cx47-Halbkanal andockt, wird das Cx47 mit einer Art Schutzanstrich versehen. Der Anstrich verhindert vermutlich, dass das Cx47 von seiner Mutterzelle abgebaut wird. Zu diesem Schluss kommen die Forscher durch eine Reihe ausgeklügelter Mausexperimente.

In Mäusen, die kein Cx43 produzieren, kann sich das Cx47 gegen den Abbau nicht wehren: es verschwindet. Mit dem Verlust oder der Inaktivierung von Connexin büßen die Oligodendrozyten auch ihre Funktionsfähigkeit ein – mit dramatischen Folgen. Denn wie man schon seit einigen Jahren weiß, produzieren Oligodendrozyten eine Art zelluläres Isolierband aus so genanntem Myelin. Damit umwickeln sie die Nervenbahnen. Nervenzellen kommunizieren mit Hilfe elektrischer Impulse; das Isolierband verhindert, dass es dabei zu Kurzschlüssen kommt. Das ist auch der Grund, warum die Zelltyp-übergreifende Nachbarschaftshilfe so wichtig ist: Der Schutzanstrich des Cx47 trägt dazu bei, dass die Oligodendrozyten genügend Isolierband produzieren können. Mäuse ohne Cx43 verlieren auch das Cx47 und damit ein wichtiges Protein für den Stoffaustausch zwischen Gliazellen.

Es ist noch nicht klar, ob dieser Schutzmechanismus auch im menschlichen Gehirn existiert. „Es handelt sich bei unserer Arbeit momentan um reine Grundlagenforschung“, betont Studienleiter Professor Dr. Klaus Willecke vom LIMES-Institut. Allerdings gibt es auch beim Menschen eine Reihe von Krankheiten, die auf einer Störung des Myelin-Stoffwechsels beruhen. Eine davon – die Pelizaeus-Merzbacher-ähnliche Erkrankung - wird durch Mutationen im Cx47-Gen verursacht. Eine weitere ist die Multiple Sklerose, bei der das Immunsystem die Isolierschicht zerstört. „Je besser wir verstehen, welche Faktoren die Myelin-Stabilität beeinflussen, desto größer ist langfristig die Chance auf neue Therapien bei Demyelinisierungs-Krankheiten“, betont Willecke.

Publikation: Connexin47 Protein Phosphorylation and Stability in Oligodendrocytes Depend on Expression of Connexin43 Protein in Astrocytes, The Journal of Neuroscience, DOI: 10.1523/JNEUROSCI.5874-12.2013

Kontakt:

Professor Dr. Klaus Willecke
Arbeitsgruppe Molekulargenetik
LIMES-Institut der Universität Bonn
Telefon: 0228/73-62743
k.willecke@uni-bonn.de

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