25. Januar 2011

Fahrstuhlfahrten im Erdmantel Fahrstuhlfahrten im Erdmantel

Forscher klären die bewegte Vergangenheit der Adula-Decke in den Schweizer Alpen auf

Der Teil der Erdkruste, den wir heute als Alpen kennen, hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Forscher der Universitäten Bonn, Köln und Münster haben sie nun für die Adula-Decke in der Südschweiz zumindest teilweise rekonstruiert: Demnach ist das Gebiet in den letzten 350 Millionen Jahren zweimal bis auf Tiefen von über 50 Kilometern in den Erdmantel abgetaucht. Erst danach hat sich die Gesteinsformation, die flächenmäßig etwa doppelt so groß ist wie der Bodensee, auf ihre aktuelle Höhe von über 2000 Metern aufgefaltet. Die Studie ist in Nature Geoscience erschienen (doi: 10.1038/NGEO1060).

Das Oberflächengestein in Richtung Erdzentrum abdriftet, ist nicht ungewöhnlich. Die Erdkruste fährt praktisch ständig Fahrstuhl: An den Nahtstellen der tektonischen Platten wird Krustenmaterial in die Tiefe gezogen - Experten sprechen von Subduktion. Bei gebirgsbildenden Prozessen können diese subduzierten Gesteine dann wieder in Richtung Erdoberfläche transportiert werden.

Bei der Fahrt unter Tage gelangt das Gestein unter extrem hohen Druck. Dabei können charakteristische Minerale entstehen, anhand derer Geologen die bewegte Vergangenheit direkt ablesen können.  Ein prominentes Beispiel für ein solches Hochdruckgestein ist Eklogit, welcher sich in 50 Kilometern Tiefe unter großen Drücken aus gewöhnlichem Basalt bildet. Die Wissenschaftler aus Bonn, Köln und Münster haben derartige Eklogite von der Adula-Decke analysiert und eine Altersbestimmung vorgenommen. Dabei haben sie eine interessante Beobachtung gemacht: "Teile der Eklogite sind maximal 38 Millionen Jahre alt, andere dagegen mindestens 330 Millionen Jahre", erklärt Daniel Herwartz. Der Doktorand am Bonner Steinmann-Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie hat die Studie geleitet.

Die Forscher konzentrierten sich bei ihren Untersuchungen auf die Eklogit-Komponente Granat. Granat baut bei seiner Bildung große Mengen des radioaktiven Spurenelementes Lutetium ein. Dieses zerfällt mit einer Halbwertszeit von 37 Milliarden Jahren zu stabilem Hafnium. Aus dem Lutetium-Hafnium-Verhältnis lässt sich also bestimmen, wann das Mineral entstanden ist. Granat bildet sich in diesen Gesteinen nur unter starkem Druck, wie er in mehr als 50 Kilometern Tiefe herrscht. Daher kann man an seinem Alter den Zeitpunkt der Subduktion festmachen.

200.000 Kristallkörnchen unter der Lupe sortiert


Herwartz und seine Kollegen haben für die Studie unter der Stereolupe Hunderttausende von Mineral-Kristallen sortiert, jedes so groß wie ein kleines Sandkorn. Eine Sisyphos-Arbeit, die sich aber gelohnt hat: "Uns ist es gelungen, im Eklogit der Adula-Decke zwei Granatgenerationen zu datieren", sagt der Geologe. Eine Weltpremiere, die bis vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Denn die für die Analysen nötigen Massenspektrometer sind dazu erst seit kurzem empfindlich genug. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat den Wissenschaftlern aus Bonn und Köln im Jahr 2008 ein derartiges Gerät zur Verfügung gestellt - Wert: rund eine Million Euro.

Die Autoren der Studie haben möglicherweise auch die Antwort auf eine andere Frage gefunden, die die Forschergemeinde schon seit längerem beschäftigt: Die Adula-Decke besteht nicht nur aus Eklogiten, sondern zu einem großen Teil aus quarzreichen Gneisen. Diesen Gesteinen sieht man aber nicht an, dass sie jemals unter hohem Druck standen. Zudem sind sie so leicht, dass man lange Zeit annahm, sie könnten gar nicht subduziert werden. Einige Wissenschaftler glauben daher, dass es sich bei den Hochdruck-Eklogiten um exotische Fragmente handele, die quasi aus einer Subduktionszone "herausgequetscht" wurden und so in die darüber liegenden Gesteinsschichten gerieten.

Das scheint aber nicht zu stimmen. Stattdessen ist wohl vor etwa 350 Millionen der größte Teil der etwa 1.000 Quadratkilometer großen Adula Decke komplett abgetaucht. Dieser Vorgang hat sich dann mit der gesamten Einheit vor knapp 40 Millionen Jahren noch einmal wiederholt. Das schließen die Wissenschaftler aus ihren Ergebnissen und denen anderer Arbeitsgruppen. "Wir nehmen zudem an, dass bei der Reise an die Oberfläche das geringe Gewicht der quarzreichen Gneise eine wichtige Rolle spielte", betont Herwartz. "Die Adula-Decke mit ihrem hohen Anteil ‚leichter’ Gesteine verhielt sich im Erdmantel wie ein Korken im Wasser: Ihr Aufstieg zur Erdoberfläche wurde durch den Auftrieb der leichten Gneise unterstützt."

Möglicherweise gab es davor sogar noch weitere Subduktions-Zyklen. "Das ist aber bislang reine Spekulation", betont Herwartz. "Anhaltspunkte dafür liefern zumindest unsere aktuellen Daten nicht."


Kontakt:
Daniel Herwartz
Steinmann-Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie
Universität Bonn
Telefon: 0228/73-4652
E-Mail: d.herwartz@uni-bonn.de

Wird geladen