24. Februar 2022

Angriff auf die Ukraine Ukrainekrieg: Bonner Historiker sieht Ende einer Epoche Europas

Bonner Historiker: Ende einer Epoche Europas

Mit dem Angriff Putins auf Russlands Nachbarstaat Ukraine ist eine historische Epoche zu einem Ende gekommen, sagt Prof. Dr. Martin Aust, Historiker und Osteuropa-Experte der Universität Bonn. Wie der Konflikt weitergeht, ist ungewiss. Fest steht aber: Präsident Putin führt sein Land in die Isolation. Mit Prof. Aust haben wir dazu ein Interview geführt.

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Herr Prof. Aust, wie haben Sie die Nachricht vom Angriff auf die Ukraine aufgenommen?

Prof.  Aust: Die Nachricht  ist  schwer zu ertragen. Ich kenne viele Menschen in beiden Ländern, mit denen ich seit vielen Jahren zusammengearbeitet habe. Nun mache ich mir große Sorgen. Hinzu kommt, wie unwirklich die Situation hier in Bonn wirkt: Während in der Ukraine russische Raketen einschlagen, hat hier im Rheinland der Straßenkarneval begonnen. Das ist schwer übereinander zu bringen.

 

Wie bewerten Sie die aktuelle Lage?

Wladimir Putin hat heute Nacht einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen und das Land von drei Seiten aus angegriffen. Er hat damit nicht nur sein kürzlich gegebenes Wort gebrochen, sondern geopolitisch die Büchse der Pandora geöffnet. Heute Nacht ist nicht weniger als eine Epoche zu Ende gegangen, die mit dem Zusammenbruch des Kommunismus begonnen hatte. Eine lange Phase von weitgehendem Frieden und Einheit in Europa ist vorbei – mit weitreichenden Konsequenzen, die heute noch gar nicht absehbar sind.

 

Was heißt das konkret für unser Land?

Jahrzehnte deutscher Russlandpolitik liegen  in Scherben. Die Strategie, Russland durch wirtschaftliche Beziehungen und ein deutsches Nein zum NATO-Beitritt der Ukraine in eine strategische Partnerschaft einzubinden  und eine verlässliche Beziehung zu Präsident Putin aufzubauen, ist gescheitert.

 

Wie konnte das passieren?

Wladimir Putin entzieht sich den bekannten Kategorien. Schon mit seiner Ansprache am Montagabend, als er die Anerkennung der „Volksrepubliken“ im Osten der Ukraine verkündet, und nun mit seiner Kriegserklärung an das Nachbarland hat er klar gemacht, dass er nicht mehr in den Kategorien von Diplomatie und Strategie denkt, sondern sich in historischen Dimensionen auf den Spuren früherer Imperien wähnt. Er hat ein Geschichtsverständnis offenbart, aus dem heraus er in seiner eigenen Logik glaubt, gar nicht anders handeln zu können. Putin hat sich als unberechenbarer politischer Akteur erwiesen, dem man wohl leider alles zutrauen muss. Seine Drohung an den Westen, im Falle einer Eskalation nie erlebte Gegenmaßnahmen zu ergreifen, ist eine Drohung, die auch die Möglichkeit eines Atomkriegs beinhaltet.

 

Hätten die Politiker des Westens das nicht früher erkennen müssen?

Von heute aus betrachtet muss man sagen: Wir haben uns in Wladimir Putin getäuscht. Aber hinterher ist man bekanntlich immer klüger. Im zeitlichen Verlauf fällt auf, dass es in der vierten Präsidentschaft seit 2018 eine neuerliche Veränderung gegeben hat. Putin hat nie vor dem Einsatz von Gewalt zurückgeschreckt, um seine Ziele zu erreichen. Das war bei seinem Amtsantritt 1999 als Ministerpräsident so, als er den Krieg in Tschetschenien einleitete. Bei der Annexion der Krim und der Intervention in Syrien hat Putin noch Chancen und Risiken abgewogen. Diesen Eindruck macht er nun nicht mehr. Er denkt in historischen Kategorien der imperialen Formationen des Zarenreiches und der Sowjetunion, die er sich sehr willkürlich zurechtgelegt hat.

 

Welche Reaktionen der Weltgemeinschaft erwarten Sie nun?

Putins Politik hat bereits in den vergangenen Monaten zu einer Einigkeit geführt, die den westlichen Staaten des Westens schon fast abhandengekommen war. Das, was man „den Westen“ nennt, ist ja in den letzten Jahren mehr und mehr zerfasert, etwa durch den Brexit oder die Trump-Administration in den USA. Auch innerhalb der EU gibt es viel Dissens, etwa über die Migrations- und Flüchtlingspolitik. Im Angesicht des Truppenaufmarschs an der Grenze zur Ukraine haben sich die Reihen wieder geschlossen. Und mit dem Angriff Putins treten alle Differenzen jetzt erst recht in den Hintergrund: EU, NATO und USA zeigen sich gefestigter denn je.

 

Steht der russische Machthaber also isoliert da?

So sieht es aus: Putin isoliert Russland von Europa und den USA: Ich bin gespannt, welches Ausmaß diese Abschottung annehmen wird, die wir nur erleben werden. Auch global, etwa bei den Vereinten Nationen, ist Russland isoliert. Allein China ist noch nicht ganz von Putin abgerückt. Es besteht eine strategische Partnerschaft zwischen Russland und China, aber die ist nicht bedingungslos, wie sich zeigt. Das Außenministerium Chinas hat sich erst kürzlich zur territorialen Unversehrtheit der Ukraine bekannt, nimmt jetzt allerdings keine Verurteilung des Angriffs auf die Ukraine vor.

 

Ist eine Rückkehr an den Verhandlungstisch überhaupt noch möglich?

Im Moment sehe ich dafür überhaupt keine Perspektiven. Zum einen hat Putin der Ukraine das unmögliche Ultimatum gestellt, sich zur Neutralität zu verpflichten. Das wird sicher bald zurückgewiesen werden. Und zweitens hat Putin jede Glaubwürdigkeit verloren: Seine Äußerungen, Russland plane keinen Angriffskrieg, sind eine Woche alt. Er besitzt kein Vertrauenskapital in der Welt mehr.

Prof. Dr. Martin Aust (Jahrgang 1971) hat seit 2015 die Professur der Geschichte und Kultur Osteuropas an der Universität Bonn inne. Zuvor war er Professor für Geschichte Osteuropas/Ostmitteleuropas in München und Regensburg. Im Frühjahrssemester 2015 war er Gastprofessor am Departement Geschichte der Universität Basel.

Mit Prof. Aust sprach Prof. Dr. Andreas Archut vom Dezernat für Hochschulkommunikation. 

Kontakt für die Medien:
Prof. Dr. Martin Aust
Abteilung für Osteuropäische Geschichte, Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn
Tel.: 0228 - 73 9304
E-Mail: martin.aust@uni-bonn.de

Prof. Dr. Martin Aust
Prof. Dr. Martin Aust - Osteuropa-Experte Prof. Dr. Martin Aust © Foto: privat
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