07. Dezember 2022

Bibliotheken, Kinder und Literatur in der Ukraine – im Krieg und im Frieden Bibliotheken, Kinder und Literatur in der Ukraine – im Krieg und im Frieden

Im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung haben zwei Bibliothekarinnen und eine Verlegerin aus der Ukraine an der Universität Bonn über ihre Erfahrungen berichtet. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn (ULB) zusammen mit der RTWH Aachen.

Besuch aus der Ukraine
Besuch aus der Ukraine - v.l.n.r.: Dr. Ulrich Meyer-Doerpinghaus (Direktor der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn), Ludmyla Yudko (Übersetzerin), Anna Tyurina (Krokus Verlag, Co-Verlegerin), Alla Gordiienko (Nationalbibliothek der Ukraine für Kinder, Generaldirektorin), Olha Dubova (Nationalbibliothek der Ukraine für Kinder, Leiterin der Abteilung für fremdsprachige Literatur) Dr. Matthieu Osmont (Leitung Institut Francais) © Foto: Volker Lannert/Uni Bonn
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Die Prorektorin für Internationales der Universität Bonn, Prof. Dr. Birgit Ulrike Münch, begrüßte die Referentinnen und Gäste der Diskussionsveranstaltung „Bibliotheken, Kinder und Literatur in der Ukraine – im Krieg und im Frieden“ mit den Worten: „Ihre Arbeit bewahrt in Zeiten des Krieges nicht nur die ukrainische Kultur und das kulturelle Leben, sondern bietet auch den Kindern und Jugendlichen des Landes ein Ventil. Kultur und Bildung sind das Gegenmittel gegen Fremdenhass und Krieg, Kultur schafft Dialog, kulturelle Identität darf nicht zerstört werden. Sie tragen einen wichtigen Teil dazu bei, den wichtigsten, nämlich den kommenden Generationen, diese Identität, dieses Erbe, zu sichern.“

Seit Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 sind bereits zahlreiche Bibliotheken, Museen, Archive und Kirchen im ganzen Land gezielt angegriffen, zerstört und ausgeraubt worden. Kulturelle Institutionen arbeiten unter schwersten Bedingungen weiter daran, das Kulturleben aufrechtzuerhalten, das kulturelle Erbe zu schützen und Schutzräume zu schaffen. So auch die Ukrainische Nationalbibliothek für Kinder in Kiew. Diese sammelt und erhält die Kinder- und Jugendliteratur des Landes und stellt sie der Öffentlichkeit zur Verfügung.

"Wir bleiben stark für unsere Kinder"

Generaldirektorin Alla Gordiienko und Olha Dubova, Leiterin der Abteilung für fremdsprachige Literatur, berichteten dem Publikum von ihrer Arbeit. Vor dem Krieg erreichte die Bibliothek mit ihren Veranstaltungen jährlich rund 45 000 Nutzer und Nutzerinnen, darunter vor allem Kinder. Ein Highlight ist die „Lesewoche für Kinder“, in der berühmte Persönlichkeiten Geschichten vorlesen und erzählen. Das letzte Event fand am 23. Februar 2022 statt, einen Tag vor Kriegsbeginn. Trotz dramatischer erster Tage, war schnell klar: „Wir machen weiter. Wir bleiben stark für unsere Kinder. Über die sozialen Medien konnten wir in Kontakt bleiben und die Arbeit koordinieren“, berichtete Gordiienko. So fand die Lesewoche für Kinder online statt. 20 Autorinnen lasen aus ihren Büchern, teilweise direkt von der Front. Die Aktion erreichte 28 000 Aufrufe.

Die Ukrainische Nationalbibliothek für Kinder selbst wurde zum Schutzraum für Jung und Alt: „Immer wieder mussten Erwachsene und Kinder in den Bombenkeller. Um die Kinder nicht zu traumatisieren, machten wir ein Versteckspiel daraus und nannten den Keller stattdessen ´Unterkunft für Kinder´“, so Gordiienko. Die Kinder vor Ort wurden in die Arbeit integriert, indem sie Talismane bastelten oder Postkarten an die Soldaten schrieben. So fühlten sie sich gebraucht und wurden gleichzeitig abgelenkt.

Verlagsarbeit geht trotz des Krieges weiter

Anna Tyurina, Co-Verlegerin des Kinder- und Jugendbuchverlags Krokus aus Charkiw, der Kinderbücher ukrainischer und – in Übersetzung – fremdsprachiger Autorinnen und Autoren herausgibt, schilderte von ihren Erfahrungen als nach Deutschland geflohene Ukrainerin und von ihren Bemühungen, den Verlag unter erschwerten Bedingungen am Leben zu halten: „Unsere Bestände wurden dank eines Zuschusses des Goethe-Instituts aus dem Lager im Stadtzentrum von Charkiw in einen Vorort verlagert.“ Seit Kriegsbeginn konnten sechs Titel veröffentlicht werden, einer davon im Deutschen Moritz Verlag.

Alle drei Referentinnen berichteten mit großer Leidenschaft und Engagement von ihrer Arbeit. Plötzlich klingelte ein Smartphone – Luftalarm in Kiew. Ein eindrucksvoller Moment, der dem Publikum noch deutlicher machte, wie sehr der Krieg den Alltag der Referentinnen auch fernab ihrer Heimat prägt und nicht auszublenden ist.

Nach dem regen Austausch bedankte sich Dr. Ulrich Meyer-Doerpinghaus, Direktor der Universitäts- und Landesbibliothek vor den Gästen bei den drei Referentinnen: „Ich bin tief beeindruckt von Ihrem Mut und Ihrem Optimismus, wie auch von der Offenheit, mit der Sie uns heute an Ihrer Situation haben anteilnehmen lassen. Wir werden unsere Zusammenarbeit fortsetzen. Zur Verständigung zwischen den europäischen Zivilgesellschaften gehört auch der Brückenschlag zwischen Bibliotheken als wichtige Kultureinrichtungen ihrer jeweiligen Länder.“

Der Austausch wird weitergehen. Nicht nur bei der Kooperationsveranstaltung der RWTH in Aachen am 7. Dezember 2022, sondern auch darüber hinaus, um das Wissen über das ukrainische Kulturleben zu erweitern, zu bewahren und mit allen Mitteln zu unterstützen.

Die Ukrainische Nationalbibliothek für Kinder

Die Ukraine gehört weltweit zu den ganz wenigen Ländern, die mit der Ukrainischen Nationalbibliothek für Kinder in Kiew eine eigene Nationalbibliothek für Kinder- und Jugendliteratur haben (daneben z.B. Süd-Korea). Die Bibliothek sammelt und erhält die Kinder- und Jugendliteratur des Landes und stellt sie der Öffentlichkeit zur Verfügung. Die Bibliothek wurde 1967 gegründet und erlangte die Funktion als Nationalbibliothek im Jahr 2003. Ihr Bestand umfasst mehr als 525 000 Bücher, Zeitschriften und audio-visuelle Medien und zählt über 20 000 Besuchende im Jahr. Eine Sondersammlung umfasst zahlreiche wertvolle Bücher aus dem 19. Jahrhundert. Neben ukrainischsprachiger Literatur hat die Bibliothek mehr als 15 000 fremdsprachige Bücher. Die Bibliothek erforscht in einer soziologischen Abteilung das Leseverhalten und die Lesebedarfe von Kindern und Jugendlichen, versteht sich auch als Informationsstelle für Lehrerinnen und Lehrer und arbeitet eng verzahnt mit den Kinder- und Jugendbuchverlagen der Ukraine. Sie versteht sich aber auch ganz unmittelbar als eine Bibliothek für Kinder und Jugendliche. (mehr: https://chl.kiev.ua/default.aspx?id=47).

Der Krokus Verlag

Der Krokus Verlag ist ein junger, in Charkiw ansässiger Kinderbuchverlag, der Kinderbücher ukrainischer und – in Übersetzung – fremdsprachiger Autorinnen und Autoren herausbringt. Durch den russischen Angriff wurde die Verlagstätigkeit vor Ort weitgehend unmöglich. Eine der Herausgeberinnen ist mit ihrer Familie nach Deutschland geflohen und versucht von hier aus den Verlag am Leben zu halten, wobei sie durch Verlage aus Deutschland (Moritz Verlag) und Frankreich (L'école des loisirs) unterstützt wird. (mehr: https://crocusbooks.com.ua/en/).

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Universitäts- und Landesbibliothek Bonn
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Louisa Wittke
E-Mail: pr@ulb.uni-bonn.de
Tel.: 0228 73-9517

National Library of Ukraine for Children
National Library of Ukraine for Children © Foto: privat
Besuch aus der Ukraine
Besuch aus der Ukraine - Prorektorin Prof. Dr. Birgit Ulrike Münch (2.v.r.) begrüßt die Gäste aus der Ukraine. © Foto: Volker Lannert/Uni Bonn
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