27. August 2013

Von offiziellen und biologischen Vätern Von offiziellen und biologischen Vätern

Experten aus ganz Europa diskutieren an der Universität Bonn über neue Formen des Familienrechts

Kann ein Kind zwei Mütter haben? Oder drei Eltern? Oder zwei Vaterländer? Nicht nur Patchworkbeziehungen und Homo-Ehe machen das Leben bunter als früher – sondern zum Beispiel auch die Frage, welche Gesetze gelten, wenn ein deutsch-französisches Ehepaar sich scheiden lässt. Mit komplizierten Problemen wie diesen befasst sich das „Internationale Familienrecht“, und die Universität Bonn ist bei der Suche nach Lösungen in Deutschland ganz vorn. Antworten gibt jetzt die Bonner Tagung der „Kommission für Europäisches Familienrecht“.

Ein Mann, eine Frau, miteinander verheiratet, und beider Kind(er) – als vor 113 Jahren das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft trat, war eine „Familie“ noch sehr einfach zu definieren. Ganz anders heutzutage: Ein „Elternpaar“ – das können zwei Frauen sein. Zwei Männer. Oder zwei Männer und eine Frau. Ein Kind kann einen Vater haben, der es nie gezeugt hat. Kompliziert ist es auch geworden, wenn Geld ins Spiel kommt: Erbt der Mann/ die Frau meines Lebens problemlos mein Vermögen, wenn wir nicht verheiratet sind? „Die Vielfalt der familiären Lebensformen ist die große Herausforderung der Gegenwart“, sagt Professorin Dr. Nina Dethloff, Direktorin des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Familienrecht der Universität Bonn. Bei seiner Gründung war es das erste seiner Art in Deutschland.

Neue Antworten zu all dem gibt es ab Donnerstag, wenn das Institut für Familienrecht zusammen mit dem Käte Hamburger Kolleg „Recht als Kultur“ zur Konferenz „Family Law and Culture in Europe“ einlädt. Damit ist die Universität Bonn Gastgeberin für die erste deutsche Tagung der „Commission on European Family Law“ (Kommission für Europäisches Familienrecht, CEFL). Diese vereint Experten aus 28 Ländern und will die vielen Formen des Familienrechts in Europa wissenschaftlich vergleichen und in einfachen „principles“ (Leitsätzen) zusammenfassen. Da geht es nicht nur um gleichgeschlechtliche und Patchwork-Beziehungen, sondern zum Beispiel auch um Erbschaftsfragen oder um den Vermögensausgleich bei Scheidungen – alles grundlegende, nicht nur technische, sondern normative Fragen, an denen sich gesellschaftliche Konflikte entzünden und die von den nationalen Rechtskulturen auf hochspezifische Weise beantwortet werden. 58 neue Leitsätze (diesmal zum Thema „Güterrecht in der Ehe“) werden auf der Konferenz präsentiert – das Ergebnis von sechs Jahren der Forschung.

Eine Viertelmillion Euro und eine Diskussion mit Top-Juristen

Der Kongress ist Auftakt zu einer auf fünf Jahre geplanten Forschungszusammenarbeit zwischen Prof. Dr. Dethloff und der Pionierin des Fachs, der CEFL-Gründerin Prof. Dr. Katharina Boele-Woelki von der Universität Utrecht. Die Bonner Vorreiterrolle soll helfen, die Erforschung des europäischen Familienrechts in Deutschland weiter voranzutreiben; die Alexander-von-Humboldt-Stiftung unterstützt das mit der Vergabe ihres „Anneliese-Maier-Forschungspreises“ (dotiert auf 250.000 Euro) an Boele-Woelki. Auch Top-Juristen beteiligen sich an den Gesprächen: Gabriele Britz vom Bundesverfassungsgericht und Angelika Nussberger vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte diskutieren in Bonn über „Biologische und soziale Elternschaft – Wohin führt der Weg?“. Laut Prof. Dr. Dethloff geht der Trend in Deutschland „dahin, gegenüber der »biologischen« Elternschaft auch die »soziale« anzuerkennen“ – dass also ein Mensch auch dem Kind seines neuen Partners faktisch Mutter oder Vater sein kann.

Zugleich sieht die Expertin ein neues Problem: das Recht des „nur biologischen“ Vaters. Etwa, wenn eine verheiratete Frau nach einem Seitensprung schwanger ist: Ihr Ehemann gilt in Deutschland als „offizieller“ Vater des Kindes. Hat auch der andere Mann ein Recht auf Begegnung mit dem Kleinen? Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sagt: Er hat. Oder wenn ein lesbisches Paar ein per Samenspende gezeugtes Kind aufzieht: Kann der Samenspender sich Umgang mit dem Kind erstreiten? Er kann. Probleme, die viel menschliches Leid verursachen und mit denen die Bonner Forscherin und ihre Fachkollegen immer wieder zu tun haben.

Am Bonner Institut in Arbeit: Die „Europäische Ehe“

Der wichtigen Themen für die kommende Zusammenarbeit sind viele. Wie läuft der Vermögensausgleich, wenn „Ehen ohne Trauschein“ scheitern? Wie manifestieren sich rechtskulturelle Konflikte, wenn polygame Zuwanderer und ihre Familien mit europäischen Rechtsbestimmungen konfrontiert werden? Wenn ein Elternteil nach der Scheidung ins Ausland geht – wo bleiben die Kinder? Bei der Lösung sollen die CEFL-„principles“ als „Modell oder Inspirationsquelle“ dienen, sagt Prof. Dr. Dethloff. Sie helfen auch bei einem weiteren Projekt des Instituts: Die Bonner Familienrechtler arbeiten an Regeln für eine „Europäische Ehe“ – einem einheitlichen Rechtsrahmen, der für „internationale“ Paare in allen beteiligten Ländern auf Wunsch dauerhaft gelten könnte. Damit sich keiner mehr fragen muss, ob bei der grenzüberschreitenden Hochzeit (jedes Jahr gibt es in der EU 300.000 davon) jetzt das Gesetz aus Berlin greifen soll, das aus Paris oder das aus Madrid.

Die Konferenz:
Family Law and Culture in Europe – Developments, Challenges and Opportunities.
Donnerstag bis Samstag, 29.-31. August 2013.
Internet: www.cefl2013.org, www.ceflonline.net

Podiumsdiskussion:
Biological and Social Parentage – Where do we go from here?
Samstag, 31. August, 11 Uhr. Universitätsclub Bonn, Konviktstraße 9.
Anmeldung für Medien: www.cefl2013.org

Ansprechpartnerin:
Prof. Dr. Nina Dethloff
Institut für Deutsches, Europäisches und Internationales Familienrecht
Tel. 0228 / 73-9290
E-Mail: dethloff@uni-bonn.de

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