10. Februar 2008

Ärztemangel trotz Überversorgung Ärztemangel trotz Überversorgung

Bonner Studie zur Praxen-Verteilung im Rhein-Erft-Kreis / Ergebnisse vermutlich auf andere Regionen übertragbar

Der Rhein-Erft-Kreis westlich von Köln gilt als erheblich überversorgt, was die Anzahl an niedergelassenen Ärzten anbelangt. Doch innerhalb des Kreises ist die Verteilung der Praxen extrem uneinheitlich. In den Kommunen Bergheim, Kerpen, Bedburg und Elsdorf gibt es sogar einen teilweise deutlichen Ärztemangel. Das haben Wissenschaftler der Universitäten Bonn und Köln in einer aktuellen Studie festgestellt (Gesundheitswesen 2007; 69: 595-600). Besonderer Mangel herrscht in diesen Regionen an Gynäkologen, Internisten und Kinderärzten. Selbst für den Besuch beim Hausarzt müssen Patienten mancherorts weite Anfahrten in Kauf nehmen. Eine gleichmäßigere Versorgung wäre nicht nur im Sinne der Patienten: Sie birgt nach Einschätzung der Forscher auch ein erhebliches Sparpotenzial.

Seit 1993 entscheiden die kassenärztlichen Vereinigungen darüber, wie viele Vertragsärzte einer Fachrichtung sich in einem Kreis niederlassen dürfen. So ist der Rhein-Erft-Kreis seit Jahren für Neuzulassungen aller Facharztrichtungen gesperrt. Mit dieser Maßnahme wollte der Gesetzgeber die überbordenden Gesundheitsausgaben in den Griff bekommen: Je mehr Praxen in einem Gebiet sind, desto mehr Patienten lassen sich dort auch behandeln. Experten sprechen von "angebotsinduzierter Nachfrage".


"Mit der Bedarfsplanung ist es zwar gelungen, den unkontrollieren Zuwachs von Niederlassungen zu verhindern", erklärt Dr. Thomas Kistemann. "Lokale Über- oder Unterversorgungen ließen sich dadurch aber nicht beseitigen." Grund: Ärzte können sich frei entscheiden, wo sie sich innerhalb eines Kreises niederlassen. Oft übernehmen sie dabei einfach die Praxis ihres Vorgängers. Zwar können die kassenärztlichen Vereinigungen finanzielle Anreize setzen. Doch auch dann lassen sich viele Ärzte nicht dazu bewegen, ihre Praxis in einem unterversorgten Gebiet zu gründen.


Köln-Nähe als wichtiger Standortfaktor


Kistemann ist Mediziner und Geograph. Zusammen mit der Diplomgeografin Milly-Arna Schröer hat er untersucht, an welchen Standorten im Rhein-Erft-Kreis sich besonders viele Ärzte tummeln. Ein Ergebnis: Auch Mediziner mögen die Nähe zu großen Metropolen. "Im Rhein-Erft-Kreis gibt es 619 Vetragsärzte", erklärt Kistemann. "Mehr als 60 Prozent davon haben ihre Praxis in einer Kommune, die an Köln grenzt. Dort lebt aber nur die Hälfte der Bevölkerung." In einem Fragebogen gaben rund 55 Prozent der Niedergelassenen zu Protokoll, die Nähe zu Köln sei für sie ein wichtiger Standortfaktor.


Relativ am wenigsten Praxen finden sich in den Kommunen Bergheim, Kerpen, Bedburg und Elsdorf. Sie liegen ganz im Westen des Rhein-Erft-Kreises und sind damit am weitesten von Köln entfernt. Entsprechend schlecht steht es hier um die medizinische Versorgung. "In Bedburg und Elsdorf gibt es keinen einzigen Spezialisten für Innere Medizin", verdeutlicht Dr. Thomas Kistemann an einem Beispiel. "Und das, obwohl im Rhein-Erft-Kreis insgesamt 2,5mal soviel Internisten tätig sind wie vorgesehen." Ähnlich verzerrt ist die Situation bei Augen- und Kinderärzten, bei Gynäkologen und Psychotherapeuten. Auch in Punkto Hausarzt-Versorgung schaut der "Wilde Westen" in die Röhre.


Teures Überangebot


Dass die Praxen so inhomogen verteilt sind, birgt aus Sicht der Bonner Wissenschaftler gleich zwei Nachteile: Einerseits müssen manche Patienten für ihren Arztbesuch unangemessen lange Anfahrtswege in Kauf nehmen. Andererseits suchen Patienten in den überversorgten Gebieten wahrscheinlich häufiger den Arzt auf als nötig. Dem Gesundheitssystem entstünden dadurch zusätzliche Kosten. Die Forscher bescheinigen einer ausgeglicheneren Verteilung denn auch großes Sparpotenzial. "Der Rhein-Erft-Kreis ist vermutlich kein Einzelfall", betont Kistemann zudem. "Anderswo dürfte es ähnlich aussehen."


Die Autoren der Studie empfehlen daher, die Verteilungsschlüssel auf kleinere Gebiete herunterzubrechen. Allerdings seien Kennzahlen wie "Anzahl der Personen pro Arzt" ohnehin nur begrenzt aussagekräftig. So benötigen Senioren häufiger einen Arzt als jüngere, und in Regionen mit hohen Geburtenraten werden Kinderärzte dringender gesucht als Orthopäden. Kistemann: "Um von einer echten Bedarfsplanung zu sprechen, bedarf es auch der Einbeziehung von Bevölkerungs- und Patientendaten."



Kontakt:

Privatdozent Dr. Thomas Kistemann

Institut für Hygiene und Öffentliche
Gesundheit, Universitätsklinikum Bonn

Telefon: 0228/287-15534

E-Mail: Thomas.Kistemann@ukb.uni-bonn.de






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