09. Dezember 2014

Eine Straftat – viele Ankläger Eine Straftat – viele Ankläger

Juristen der Universität Bonn legen Modellentwurf für grenzüberschreitende Strafverfolgung vor

Grenzüberschreitende Sachverhalte nehmen im Zeitalter der Globalisierung und vor dem Hintergrund wachsender Mobilität stetig zu. Dies wirkt sich auch im Bereich des Strafrechts aus: Straftaten, die Bezüge zu mehreren Staaten haben, sind keine Seltenheit. Wissenschaftler aus Bonn und Zürich haben ein Modell entworfen, wie mit solchen Straftaten umgegangen werden kann, und zwar sowohl auf Ebene des materiellen Rechts als auch des Prozessrechts.

Die Strafrechtler
Die Strafrechtler - Professor Dr. Martin Böse und Dr. Anne Schneider von der Universität Bonn mit dem neuen Buch. © Foto: Barbara Frommann/Uni Bonn
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Ein Beispiel: Während eines Urlaubs in Frankreich verschuldet ein deutscher Tourist mit seinem Auto einen Verkehrsunfall, bei dem ein spanischer Tourist verletzt wird. Für die Verfolgung der Körperverletzung kommen in diesem Fall drei Staaten in Betracht: Frankreich (aufgrund des Tatorts), Spanien (aufgrund der Staatsangehörigkeit des Opfers) und Deutschland (aufgrund der Staatsangehörigkeit des Täters).

Da üblicherweise jeder Staat sein Strafrecht, vereinfacht gesagt, auf alle Fälle erstreckt, an deren Bestrafung er ein nach völkerrechtlichen Grundsätzen anerkanntes Interesse hat, würden hier auf ein und dieselbe Körperverletzung gleichzeitig spanisches, französisches und deutsches Strafrecht angewendet werden können. „Dies bedeutet, dass alle drei Staaten ein Strafverfahren betreiben könnten, weil ein Staat immer dann ein Verfahren führen darf, wenn sein eigenes Strafrecht Anwendung findet“, sagt Prof. Dr. Martin Böse, Strafrechtler an der Universität Bonn und Leiter der Forschungsgruppe.

Wer zuerst kommt, mahlt zuerst

Innerhalb der Europäischen Union gilt das Verbot der doppelten Strafverfolgung zwar auch grenzüberschreitend, so dass letztlich nur eine rechtskraftfähige Entscheidung erfolgen darf, die in einem Urteil, einem Freispruch oder unter Umständen auch einer Verfahrenseinstellung bestehen kann. „In welchem Staat diese abschließende Entscheidung über Schuld oder Unschuld des Angeklagten und die gegebenenfalls zu verbüßende Strafe ergeht, hängt dabei allerdings im Ergebnis davon ab, welcher dieser Staaten am schnellsten ist“, sagt Prof. Böse. „Es gilt das Prinzip: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“

Mit ihrem Modellentwurf möchte die Forschungsgruppe um Prof. Böse klarer regeln, welcher Staat in solchen Konfliktfällen für die Strafverfolgung zuständig ist und welches Strafrecht Anwendung findet. Die Ergebnisse beruhen zum einen auf einer vergleichenden Analyse des Rechts von zehn EU-Mitgliedstaaten und zum anderen auf einer umfangreichen Untersuchung der Grundfreiheiten und Grundrechte der Europäischen Union, einem Vergleich mit den Regelungen des Internationalen Privat- und Zivilprozessrechts und des bislang bestehenden völker- und europarechtlichen Rahmens für die Beilegung strafrechtlicher Jurisdiktionskonflikte.

Entzerrung von Verfolgungszuständigkeit und Strafrecht

Eine wesentliche Neuerung des Modells besteht darin, dass es zwischen Verfolgungszuständigkeit und anwendbarem Strafrecht unterscheidet, also die bisher bestehende Verknüpfung beider Aspekte aufbricht. „Diese Differenzierung ist im Privatrecht allgemein anerkannt und wurde jetzt von unserer Forschergruppe auf das Strafrecht übertragen“, sagt Prof. Böse. Auf diese Weise könne das Spannungsverhältnis zwischen Rechtssicherheit und Flexibilität aufgelöst und zugleich die Interessen des Beschuldigten besser berücksichtigt werden.

Was bedeutet dies konkret? Nach dem Modellentwurf gilt im obigen Beispielsfall einzig das Strafrecht des Tatorts, also französisches Recht. Grundsätzlich ist der Tatortstaat auch für die Strafverfolgung zuständig. Allerdings kann der Beschuldigte die Abgabe des Verfahrens an seinen Wohnortstaat - hier: Deutschland - beantragen. Stellt der Beschuldigte einen solchen Antrag, dem bei weniger schweren Straftaten in der Regel stattgegeben werden soll, wird das Verfahren in Deutschland weitergeführt. Das französische Strafrecht bleibt jedoch für die strafrechtliche Bewertung insofern maßgeblich, als keine höhere Sanktion verhängt werden darf, als nach französischem Recht zulässig ist.

„Der Vorteil dieser Lösung liegt für den Beschuldigten darin, dass er nicht für das Strafverfahren ins Ausland reisen oder an das Ausland ausgeliefert werden muss“, erläutert Prof. Böse. Das Verfahren sei also weniger belastend, ohne dass das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung darunter leide. Das Modell berücksichtigt jedoch auch staatliche Interessen, indem einzelne Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen die Übertragung der Strafverfolgung beantragen können. „Mit den Modellregeln können daher auch komplexere Fälle einer befriedigenden Lösung zugeführt werden“, sagt der Leiter der Forschungsgruppe.

Projektinformationen: http://www.jura.uni-bonn.de/index.php?id=5377

Publikation: Martin Böse, Frank Meyer, Anne Schneider: Conflicts of Jurisdiction in Criminal Matters in the European Union, Vol. II: Rights, Principles and Model Rules, Nomos Verlag, 473 S., 109 Euro.

Kontakt für die Medien:

Prof. Dr. Martin Böse
Strafrecht und Strafprozessrecht sowie
Internationales und Europäisches Strafrecht
der Universität Bonn
Tel. 0228/739156
E-Mail: sekretariat.boese@jura.uni-bonn.de

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