03. August 2012

Wie Faultiere Darwins Thesen untermauern Wie Faultiere Darwins Thesen untermauern

Studie erhellt Zusammenhang zwischen Organfunktion und Formenvielfalt

Die meisten Disziplinen der Olympischen Spiele in London wären nichts für das dreizehige Faultier. Schließlich verdankt das Tier seinen Trivialnamen der sprichwörtlichen Langsamkeit, mit der es sich bewegt. Dass die gemütlichen Wesen dieser Tage dennoch von sich reden machen, verdanken sie Wissenschaftlern des Steinmann-Instituts für Geologie, Mineralogie und Paläontologie der Universität Bonn. Sie haben beim Faultier wichtige Hinweise gefunden, die eine Vorhersage des berühmten Artenforschers Charles Darwin zum Zusammenhang zwischen Organfunktion und Formenvielfalt untermauern könnten. Ihre Ergebnisse beschreiben sie in der aktuellen Ausgabe des britischen Fachmagazins Proceedings of the Royal Society B (DOI: 10.1098/rspb.2012.1212 )

Die Untersuchung von Variationen im Tierreich erlaubt einen direkten Einblick in die Mechanismen der Evolution. Dazu verglichen die Bonner Forscher jetzt die unterschiedlichen Ausprägungen des semizirkularen Kanals (Botengänge) von Faultieren, eines im Innenohr von Säugetieren gelegenen Sinnesorgans, das der Wahrnehmung von Bewegung dient. Im Vergleich vieler verschiedener Individuen derselben Spezies fanden die Wissenschaftler eine bemerkenswert große Bandbreite von Formen. „Das ist ungewöhnlich für Säugetiere. Bei anderen Arten sind die Abweichungen viel geringer“, erzählt der Erstautor der Studie, Dr. Guillaume Billet.

Seltenes Beispiel für eine alte Hypothese

Nach der Darwinschen Evolutionstheorie ist die Entwicklung der Arten einer kontinuierlichen Spezialisierung unterworfen, bei dem durch Selektion die Form und Funktion eines Organs stets den gegebenen Bedürfnissen angepasst wird. Weil bei den langsamen Faultieren kein Bedarf mehr für eine ausgefeilte Bewegungssensorik besteht, kommt es bei ihnen auch nicht mehr auf die genaue Ausgestaltung des semizirkularen Kanals an. Dies entspricht auch einer Vorhersage Charles Darwins in seinem epochalen Werk „Über die Entstehung der Arten“. Doch bislang gibt es dafür kaum Beispiele, besonders nicht von Säugetieren. Die jetzt publizierte Entdeckung könnte damit ein bedeutender Beitrag zur Bestätigung dieses Aspektes der Darwinschen Evolutionstheorie sein.
„Wir vermuten, dass es die Natur mit der Form dieses Sinnesorgans beim Faultier deshalb nicht so genau nimmt, weil der funktionelle Bedarf dafür nicht gegeben ist“, sagt Dr. Billet. „Wer sich so langsam bewegt wie ein Faultier, muss seine ohnehin trägen Bewegungen nicht so genau registrieren wie andere Tiere, bei denen es viel mehr auf Schnelligkeit und Präzision ankommt.“ Genau das hatte Darwin vorhergesagt: Kaum lässt der Evolutionsdruck auf die Gestalt eines Organs nach, schießen die Variationen ins Kraut.

„Das Faultier ist ein Exzentriker unter den Säugetieren“

Dr. Guillaume Billet arbeitet als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Thomas Martin. Sein Interesse gilt evolutionsbedingten Veränderungen des Skeletts, sein Spezialgebiet sind die Säugetiere Südamerikas. Für den französischen Paläontologen ist die aktuelle Entdeckung auch eine weitere Bestätigung dafür, dass er sich einen besonders reizvollen Forschungsgegenstand gewählt hat: „Das Faultier ist in vielerlei Hinsicht ein Exzentriker unter den Säugetieren: Sie sind die langsamsten und lethargischsten Vertreter und auch sonst immer ein bisschen anders als die anderen Tiere. So haben sie eine ganz ungewöhnliche Wirbelverteilung und leben sogar in Symbiose mit Algen. Da passt es gut, dass sie auch bei der Gestalt ihres Sinnesorgans für Bewegung aus der Reihe tanzen – wenn auch ganz langsam.“

Kontakt:
Dr. Guillaume Billet
Steinmann-Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie
Universität Bonn
Telefon: 0228/73-9365
gbillet@uni-bonn.de

Wird geladen