"Bleib, wie du bist“ und „Vergiss mich nicht“ – wer erinnert sich nicht an die Sprüche und Wünsche, die man als Kind in Freundebücher schrieb? Was heute vor allem bei Kindern oder im goldenen Buch einer Stadt zu finden ist, war vor wenigen Jahrhunderten gelebte Praxis unter reisenden Adligen. Sinnsprüche, Wappen und Zeichnungen wurden in sogenannten Stammbüchern gesammelt – und sind heute im „Repertorium Alborum Amicorum“ dokumentiert.
„Diese Poesiealben dienten nicht nur der Erinnerung, sondern waren auch Ausdruck sozialer Verbindungen und Netzwerke“, erklärt Jonas Bechtold. „Man wollte zeigen: Seht, mit wem ich im Kontakt stehe.“ Dieser Trend erfasste später alle Gesellschaftsschichten – bis hin zum Kindergartenalter. „Auch heute existieren solche Freundschaftsbücher – nur meist in digitaler Form, etwa in sozialen Netzwerken“, so Bechtold.
Ein besonderes Beispiel sind die Stammbücher des Kunstsammlers und Kunsthändlers Philipp Hainhofer (1578–1647), ein echter Polit-Influencer seiner Zeit. Für Forschende, die sich mit Beziehungsgeflechten oder Alltagsgeschichte beschäftigen, sind solche Bücher wahre Fundgruben.
Doch Hainhofers Stammbücher sind nicht die einzigen Quellen, die sich bei „Datendonner“ wiederfinden. Auf Plattformen wie „Old Maps Online“ lassen sich historische Karten über heutige Stadtpläne legen. Französische Karten aus dem 17. und 18. Jahrhundert zeigen etwa das Bollwerk der Bonner Stadtbefestigung und die Beuler Schanze auf dem gegenüberliegenden Rheinufer. Wo heute die Kennedybrücke Bonn und Beuel verbindet, war die Trennung beider Orte um 1850 noch deutlich spürbar. 1898 sind auf den Karten bereits die Brückenpfeiler der späteren Rheinbrücke erkennbar, Beuel ist gewachsen und zeigt eine zunehmende Zersiedelung.
Rund 100 Datenbanken wurden im Rahmen des Projekts bereits vorgestellt, viele weitere sind in Vorbereitung. Jeder „Datendonner“-Beitrag präsentiert eine historische Datenbank oder digitale Edition – kompakt, anschaulich, niedrigschwellig. Es geht dabei nicht um klassische Archivalien, sondern um edierte oder öffentlich zugängliche Quellen: Verträge, Zeichnungen oder Kuriositäten wie Leonardo da Vincis Tagebuch. „Eine meiner Lieblingsdatenbanken ist ‚Neue unbekannte Lande‘, eine Edition früher Entdeckerberichte“, sagt Bechtold. „Diese Quellen stammen von Menschen, die um 1500 auf dem Atlantik unterwegs waren. Auch wenn vieles schwer zu entziffern und nicht mehr zeitgemäß ist, ist die Fremdheitswahrnehmung und das Erkennen einer neuen Welt unglaublich spannend – sowohl für Historiker als auch Sprachgeschichtler.“
All diese Quellen werden durch „Datendonner“ praktisch nutzbar gemacht. Die Beiträge zeigen Studierenden, wie man mit Quellen arbeitet – und wie der frühzeitige Umgang mit ihnen die Qualität wissenschaftlicher Arbeiten steigert. „Oft erleben wir, dass Studierende in Hausarbeiten an der Sekundärliteratur kleben bleiben. Der Schritt zur Quelle fällt schwer“, so Bechtold. Das liege nicht an Unlust, sondern an mangelnder Anleitung oder fehlendem Zutrauen. Frühzeitige Angebote wie „Datendonner“ helfen, diese Hemmschwelle zu senken. Studierende gewinnen an Souveränität – und ihre Arbeiten an Tiefe. „Sie laufen nicht Gefahr, einem Aufsatz hinterherzuschreiben. Sie arbeiten eigenständiger.“
Begonnen hatte alles wenige Monate vor der Corona-Pandemie – als Idee, besondere Bestände der ehemaligen Landesgeschichtsbibliothek digital vorzustellen. Dann kam der Lockdown. Der Umstieg auf digitale Formate wurde alternativlos. Mit Hilfe einer studentischen Hilfskraft wurde das Konzept angepasst – aus der Notlösung entwickelte sich ein langfristiges Format. „Wir konnten zeigen, dass man auch von zu Hause aus gut mit Quellen arbeiten kann. Und wir sind einfach drangeblieben“, so Bechtold.
Was einst als Proseminar-Material begann, hat inzwischen eine eigene Dynamik entfaltet. Neben den Instagram-Vorstellungen und Seminarbesprechungen sind künftig Kooperationen mit Bonner Gymnasien geplant. „Wir wollen Schüler*innen frühzeitig zeigen, dass eine Quelle mehr ist als drei Zeilen im Schulbuch“, erklärt Bechtold. So könnten sie etwa online Reiseberichte aus der Frühen Neuzeit erkunden – und später die Originale in Bonn vor Ort betrachten.
Finanziert wird das Projekt aus Institutsmitteln – ebenso wie viele der Datenbanken, die in den letzten 30 oder 40 Jahren online gestellt wurden und bis heute abrufbar sind, auch wenn manche davon inzwischen etwas verstaubt wirken. Nicht alle Datenbanken sind so groß wie etwa die der Bodleian Library oder kommerzielle Angebote wie EEBO (Early English Books Online), das alle englischen Drucke bis 1800 umfasst. „Viele digitale Sammlungen entstehen aus Forschungsprojekten einzelner Personen heraus, die ihre Bestände dann zugänglich machen“, erklärt Bechtold.
Damit diese digitalen Schatzkisten auch weiterhin sichtbar bleiben, donnert es Woche für Woche weiter. Mehrere hundert dieser Sammlungen warten noch darauf, gehoben zu werden.