„Archäologen interessieren sich schon seit langem für die Erforschung von Ungleichheit“, erklärt Scott Ortman, außerordentlicher Professor für Anthropologie an der University of Colorado Boulder, der zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen Amy Bogaard von der University of Oxford und Timothy Kohler von der University of Florida das PNAS Special Feature zusammengestellt hat. „Lange Zeit haben sich Studien auf die Entstehung von Ungleichheit in der Vergangenheit konzentriert, und während einige Beiträge in diesem Special Feature sich damit befassen, betrachten andere auch die Dynamik der Ungleichheit in allgemeinerer Hinsicht.“
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten die Muster der Ungleichheit in den Daten und analysierten sie im Zusammenhang mit anderen Messgrößen für wirtschaftliche Produktivität, soziale Stabilität und Konflikte. Auf diese Weise konnten sie die grundlegenden sozialen Folgen der Ungleichheit in der menschlichen Gesellschaft beleuchten, erklärt Ortman.
Beitrag der Universität Bonn
Als assoziiertes Mitglied der Arbeitsgruppe hat Dr. Eva Rosenstock vom Bonn Center for ArchaeoSciences der Universität Daten zu prähistorischen Gebäudegrößen beigetragen und am Text mitgeschrieben. „Der Aufsatz nutzt die Ungleichheit in der Größe residentieller Gebäude von über 1100 Fundplätzen weltweit aus den letzten 10.000 Jahren via Gini-Koeffizient als Ungleichheitsproxy“, sagt die Wissenschaftlerin, die auch Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich „Present Pasts“ der Universität Bonn ist. Gini-Koeffizienten sind ein statistisches Maß für die Ungleichverteilungen in einer Gruppe, das vom italienischen Statistiker Corrado Gini entwickelt wurde.
„Ein solches Vorgehen wird kontrovers diskutiert“, berichtet Eva Rosenstock. „Aber ich bin der Meinung, man sollte alles ausprobieren, was man an Proxies hat.“ Die Studie zeige, dass sich die Ungleichheit erst deutlich nach der Einführung von Pflanzenbau und Viehhaltung ("Neolithisierung") herausbildet. Dies geschehe, wenn - wie in einem anderen Aufsatz des Special Feature dargestellt -, die Produktion vom durch die verfügbare Arbeitskraft limitierten Modus in den durch das verfügbare Land begrenzten übergeht. Und dies gelte auch nur für Siedlungen, die in hierarchische Siedlungssysteme und damit größere Netzwerke eingebettet sind. „Die Neolithisierung ist daher nicht die Wurzel allen Ungleichheitsübels, wie es in populären Darstellungen von Fachfremden (z.B. Jared Diamond oder Yuval Harari) geschildert wird“, sagt die Archäologin.
„Crowdsourcing“ mit Daten
„Wir haben gewissermaßen ein Crowdsourcing durchgeführt“, sagt Ortman. „Wir baten Archäologen aus aller Welt um Informationen zu archäologischen Befunden von Wohnhäusern und baten sie, eine Datenbank zu erstellen. So konnten wir gemeinsam erfassen, was von den Häusern vergangener Gesellschaften überall auf der Welt vorhanden war.“ Hierbei waren auch studentische Hilfskräfte beteiligt.
Das Spektrum der Daten reicht von Wohneinheiten an so bekannten Stätten wie Pompeji und Herculaneum bis hin zu Fundplätzen in Nord- und Südamerika, Asien, Europa und Afrika. „Das sind bei weitem nicht alle Daten, die Archäologen jemals gesammelt haben, aber wir haben uns wirklich bemüht, die Welt zu durchforsten und einen Großteil der leicht verfügbaren Informationen aus Ausgrabungen, Fernerkundung und LiDAR zusammenzutragen“, sagt Ortman.
Die in den Daten dargestellten Wohnformen umfassen die nicht-industrielle Gesellschaft von vor etwa 12.000 Jahren bis in die jüngste Vergangenheit und enden im Allgemeinen mit der Industrialisierung. Die gesammelten Daten dienten dann als Grundlage für zehn Artikel im PNAS Special Feature, die sich mit der Archäologie der Ungleichheit, wie sie sich in Wohnhäusern zeigt, beschäftigen.
Informationen der University of Colorado: https://www.colorado.edu/asmagazine/2025/04/14/archaeological-record-size-does-matter