30. November 2020

Lebensbilder jüdischer Akademikerinnen Lebensbilder jüdischer Akademikerinnen

Birgit Formanski zeigt, wie diese Frauen Vorbilder wurden ohne weibliche Vorbilder gehabt zu haben.

Erst ab 1899 wurden Frauen an preußischen Universitäten zum Medizinstudium zugelassen, so auch in Bonn. Etliche erste Medizinstudentinnen der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität kamen aus bildungsorientierten jüdischen Familien. Dank ihrer hervorragenden Studienabschlüsse ebneten sie nachfolgenden Studentinnen den akademischen Weg, ohne selbst weibliche Vorbilder gehabt zu haben. Birgit Formanski, M. A., hat 42 Lebenswege solcher Frauen zusammengetragen. Die „Lebensbilder jüdischer Akademikerinnen“ sind als Band 11 von „Medizin und Kultuwissenschaft: Bonner Beiträge zur Geschichte, Anthropologie und Ethik der Medizin“ erschienen, herausgegeben von Prof. Dr. Walter Bruchhausen und Priv.-Doz. Dr. Ralf Forsbach.

Kennkarte aus dem Stadtmuseum Bonn
Kennkarte aus dem Stadtmuseum Bonn - Ob Jude oder nicht, hatte Bedeutung und Konsequenzen im antisemitischen Staat; entsprechend wurde dies vermerkt. © Stadtmuseum Bonn
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Das Werk umfasst 42 Biografien jüdischer Frauen, die zwischen 1900 und 1938 an der Bonner Medizinischen Fakultät studiert hatten. Die älteste der hier vorgestellten Medizinerinnen war Hermine Maas, die im Jahre 1900 als 29-Jährige in Bonn ihr Studium aufnahm und vier Semester später als Gasthörerin das Physikum absolvierte. Die Jüngste in dieser Reihe war Hilde Lachmann Mosse, die Tochter des Zeitungsmagnaten Rudolf Mosse. Sie floh im März 1933 in die Schweiz, da sie als Mitglied der Sozialistischen Arbeitsgemeinschaft (SAG) mit ihrer sofortigen Verhaftung rechnen musste.

Jüdische Eltern ermöglichten bereits zu einem frühen Zeitpunkt nicht nur den Söhnen, sondern auch ihren begabten Töchtern das Studium. Sie sollten später auch als Alleinstehende wirtschaftlich unabhängig sein. Zudem hegten die Eltern auch die Hoffnung, ihren Töchtern durch den Studienabschluss gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen. Waren die Eltern nicht in der Lage, die außerordentlich hohen Studienkosten zu bezahlen, kam die gesamte Familie dafür auf. Das internationale Ansehen der Bonner Universität führte auch einige ausländische Medizinstudentinnen an den Rhein, beispielsweise Alice Strauss aus England und Rachel Friedmann-Katzmann aus Russland/Polen.

Nach 1918 wurden aus dem Kriege heimkehrende junge Ärzte bei Stellenbesetzungen in Kliniken und Krankenhäusern eindeutig bevorzugt. Ihre Kolleginnen hingegen hatten das Nachsehen, unabhängig von ihrem Glauben. Jüdische Ärztinnen wurden dazu schon früh mit Antisemitismus konfrontiert. Ab 1933 wurden sie zunehmend beruflich ausgegrenzt. Die „Lebensbilder“ zeigen, wie sich Dozenten der Medizinischen Fakultät ab 1933 jüdischen Studentinnen gegenüber verhielten, auch die Einstellung zu jüdischen Kollegen kommt zur Sprache. Von 1933 bis 1938 entschlossen sich einige dieser Ärztinnen zur Emigration, vornehmlich um ihren Beruf ohne Repressalien ausüben zu können. Nur wenige erkannten die Gefahr für Leib und Leben, die ihnen durch das neue Regime drohte.

Verfemt, verfolgt und in den Tod getrieben


Nach dem Novemberpogrom von 1938 setzten bei nahezu allen noch hier verbliebenen Ärztinnen fieberhafte Aktivitäten für ein Visum ins sichere Ausland ein - nicht allen gelang die rechtzeitige Flucht. Lisamaria Meirowsky wurde in Auschwitz ermordet. Töchter verwitweter Mütter, die entweder nicht mehr auswandern konnten oder wollten, verpassten nicht selten den rechten Zeitpunkt zur Emigration, weil sie ihre Verwandten nicht alleine ihrem Schicksal überlassen wollten. Andere wurden in der Emigration verfolgt von Erinnerungen an erlittene Demütigungen und Schikanen durch NS-Behörden. Dazu kamen Ängste und Sorgen um zurückgebliebene Familienmitglieder sowie unüberwindbar scheinende Probleme finanzieller Art. Suizid in der neuen Heimat, so wie bei Antonie Spiegelberg, war daher keine Seltenheit.

Erwünscht waren jüdische Flüchtlinge nirgends. In keinem Land war die einheimische Ärzteschaft freiwillig bereit, ausländische Konkurrenz ins Land lassen; in vielen Ländern bestanden zudem erhebliche Ressentiments gegenüber weiblichen Ärzten. Viele der in die USA emigrierten Ärztinnen qualifizierten sich daher für aussichtsreiche medizinische Spezialgebiete, die die ersehnte Festanstellung eher ermöglichten.

Ehemalige Bonner jüdische Studentinnen arbeiteten später als Ärztinnen in mindestens acht verschiedenen Ländern, darunter Bulgarien, Chile, Palästina und die Türkei.

Formanski beleuchtet in den Lebensbildern sowohl die akademischen als auch die beruflichen Werdegänge. Schicksale von Verwandten der Studentinnen, die ebenfalls die Bonner Universität besucht haben, sowie die jüdische Lebenswelt der Familien kommen zur Sprache. Sie informiert zugleich über wesentliche politische Entwicklungen dieser Zeit. Leser und Leserinnen erfahren beispielsweise von den Gesetzesregelungen wie der „Wiedereinführung des Berufsbeamtentums“ oder von der im November 1938 erlassenen „Judenvermögensabgabe“, die für die Verarmung der noch im Lande verbliebenen jüdischen Bevölkerung sorgte.

Individualität zurück gegeben


Der Verfasserin war es wichtig, diese Frauen nicht ausschließlich als Opfer zu sehen, sondern deren gesamte Lebensleistung herauszustellen. Damit sollte ihnen ihre Individualität zurückgegeben werden. So sind sie nun heute wieder für die Nachwelt sichtbar und erlebbar.

Formanski weist darauf hin, dass ihre Auswahl keinen repräsentativen Charakter habe. Das Lebenswerk vieler anderer ehemaliger Bonner Medizinstudentinnen verdiene es ebenfalls herausgestellt zu werden. Ein großer Teil des ursprünglich vorhandenen Quellenmaterials steht jedoch nicht mehr zur Verfügung, weil es zerstört oder auf andere Weise verloren gegangen ist, beispielsweise durch den Brand im Bonner Universitätsarchiv am 18. Oktober 1944.
Die Autorin dankt nicht zuletzt dem Archivar, Dr. Thomas Becker, für seine großartige Unterstützung bei aufwendigen Recherchen.
Birgit Formanski M. A. hat Politische Wissenschaften sowie Mittlere, Neuere und Osteuropäische Geschichte in Oldenburg und Bonn studiert und veröffentlicht seit etwa 20 Jahren sowohl zur Emigrationsgeschichte als auch zu regionalhistorischen Themen.

Das Werk
Birgit Formanski, Lebensbilder jüdischer Akademikerinnen,
Ausgewählte Medizinstudentinnen an der
Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn 1900 bis 1938,
Medizin und Kulturwissenschaft. Bonner Beiträge zur Geschichte, Anthropologie und Ethik der Medizin, Band 11.
Mit einem Geleitwort des Dekans und mit der Unterstützung der Medizinischen Fakultät der Uni Bonn. Vandenhoeck & Ruprecht Unipress / Bonn University Press,
Göttingen 2020, 482 Seiten,
ISBN 978-3-8471-1161-0

Ansprechpartnerin:
Birgit Formanski M. A.


Die Autorin Birgit Formanski M. A.
Die Autorin Birgit Formanski M. A. © Foto: Tobias Formanski / Universität Bonn
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