20. August 2020

Rückkehr eines “Glanzstücks” Rückkehr eines “Glanzstücks”

Ein Auktionshaus übergibt der Universität Bonn ein lange vermisstes 500 Jahre altes Buch zum römischen Recht

Das Rechtssystem Europas und anderer Länder stützt sich auf das zwei Jahrtausende alte römische Recht. Das Werk des Rechtsgelehrten Azo Portius ist das wichtigste Bindeglied aus der Zeit des 11. und 12. Jahrhunderts zu den großen Handbüchern des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit. Seine „Summa perutilis“, in einer 1523 gedruckten Ausgabe, war seit Jahrzehnten aus der Bibliothek des Instituts für Vergleichende Rechtsgeschichte der Universität Bonn verschwunden. Über ein Auktionshaus ist es nun wieder zurückgekehrt.

Die Bibliothek des Instituts
Die Bibliothek des Instituts - für Römisches Recht und Vergleichende Rechtsgeschichte der Universität Bonn: Azo Portius‘ „Summa perutilis“ aus dem Jahr 1523 ist eines der „Glanzstücke“ der Sammlung. © Barbara Frommann/Uni Bonn
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Für Studierende ist das Buch eine harte Nuss: Azo Portius, der um das Jahr 1200 lebte, verfasste seine Schriften in Latein. Die frühe Druckschrift und die vielen Abkürzungen verlangen dem Leser einiges an Übung ab. „Für die Forschung ist die Summensammlung des Azo allerdings von sehr großem Wert“, sagt Prof. Dr. Martin Schermaier, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Römisches Recht und Vergleichende Rechtsgeschichte der Universität Bonn. Das Werk von Azo sei ein Glanzstück, weil es in dieser Form eines der wichtigsten Kommentarwerke des 13. und 14. Jahrhunderts gewesen ist. Die Kommentare zum römischen Recht waren vor allem für italienische Kaufleute wichtig, weil sie ihnen eine vom kanonischen Recht und von lokalen Rechten unabhängige und spezialisierte Rechtsgrundlage boten.

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Auktionshaus erkannte die Stempel

Lange Zeit war das Buch verschollen und ist nun wieder zurückgekehrt. Die Institutsbibliothekarin Doris Gassen nahm das verschwundene Exemplar entgegen. Ein Auktionshaus hatte die „Summa Azonis“ angeboten bekommen. Es hatte die rasierten und überklebten Stempel sorgfältig geprüft und daraus erkannt, dass der Band dem Bonner Institut gehören könnte. Die Überprüfung alter Zugangsbücher durch Carl Erich Kesper, Bibliothekar im Fachbereich Rechtswissenschaft und an der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn, erbrachte den Nachweis, dass der Band 1963, in der Aufbauphase des Instituts, erworben und später nicht wieder abgegeben worden war. Als das Institut für Vergleichende Rechtsgeschichte Jahre später mit dem Institut für Römisches Recht vereinigt wurde, war das Buch vermutlich nicht mehr im Bestand und fand bei der Neukatalogisierung keine Berücksichtigung. Wie es verschwinden konnte, lässt sich nicht mehr nachvollziehen.

Sicher ist jedoch, dass das rund 2000 Jahre alte römische Recht der klassischen Zeit keineswegs verstaubt ist. Unter Kaiser Justinian wurde es (um 530 n.Chr.) gesammelt und als Gesetz publiziert. Auf diese Sammlung, später „Corpus Iuris Civilis“ genannt, lassen sich die Rechtssysteme aller europäischen und vieler außereuropäischer Länder zurückführen. Die Rechtshistoriker untersuchen heutzutage an Quellen wie dem Werk von Azo, wie der Vorgang der Rezeption römischen Rechts verlaufen ist und wie sich das römische Recht immer wieder unter geänderten gesellschaftlichen Anforderungen sowohl gewandelt als auch behauptet hat.

Azo: einer der Väter des modernen europäischen Rechts

Azo Portius war einer der frühen bekannten Juristen der im Jahr 1088 gegründeten Universität Bologna, von der alle weltlichen Juristenfakultäten des Mittelalters und der Neuzeit abstammen. Azos Bedeutung liegt in seinen Summen-Kommentaren. Dabei handelt es sich um kommentierende Zusammenfassungen der Institutionen Justinians, des Codex und der Digesten, die über Jahrhunderte in der Ausbildung und der Gerichtspraxis eingesetzt wurden. Von Azo stammt auch die erste bekannte Sammlung sämtlicher Erläuterungen („Glossen“) zu den Digesten. „Azo ist das wichtigste Bindeglied aus der Zeit der Glossatoren des 11. und 12. Jahrhunderts zu den großen Handbüchern des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit“, sagt Schermaier. Azo sei einer der „Väter des modernen europäischen Rechts“.

500 Jahre alt und in tadellosem Zustand – bis auf den Einband

Seit Kurzem ist sein Werk als „Glanzstück“ in die Bibliothek des Instituts für Römisches Recht und Vergleichende Rechtsgeschichte der Universität Bonn zurückgekehrt. Der schöne, fast 500 Jahre alte Druck ist in tadellosem Zustand, nur der Einband soll aus Institutsmitteln behutsam restauriert werden. Die Bibliothek verfügt über zahlreiche mittelalterliche Werke: darunter die Glosse des Accursius und die Kommentare zu Teilen des Corpus Iuris Civilis von Odofredus, Paulus de Castro, Baldus oder Bartolus. „Diese Werke sind zunächst als Handschriften entstanden und wurden ab dem späten 15. Jahrhundert gedruckt, wenn sie für wichtig gehalten wurden“, berichtet Schermaier. „Insgesamt ist die Bonner Bibliothek sicher eine der besten in Europa, soweit es um Römisches Recht schlechthin geht.“ Nicht nur die Wissenschaftler der Universität Bonn, sondern auch eine große Zahl von Gastwissenschaftlern nutzen die Bibliothek regelmäßig. Darüber hinaus gibt es jedes Semester eine Lehrveranstaltung, die sich mit der Lektüre der antiken Quellen befasst.

Video: https://youtu.be/VsnrK9j8ZCA

Kontakt:

Prof. Dr. Martin Schermaier
Geschäftsführender Direktor
Institut für Römisches Recht und Vergleichende Rechtsgeschichte
Universität Bonn
Tel. 0228/733934
E-Mail: schermaier@jura.uni-bonn.de

Prof. Dr. Martin Schermaier
Prof. Dr. Martin Schermaier - mit dem Werk des Rechtsgelehrten Azo Portius. © Barbara Frommann/Uni Bonn
Mit dem Werk des Rechtsgelehrten Azo Portius:
Mit dem Werk des Rechtsgelehrten Azo Portius: - Prof. Dr. Martin Schermaier (links) und Bibliothekar Carl Erich Kesper (rechts) im Institut für Römisches Recht und Vergleichende Rechtsgeschichte der Universität Bonn. © Barbara Frommann/Uni Bonn
Azo Portius‘ „Summa perutilis“:
Azo Portius‘ „Summa perutilis“: - Die gedruckte Ausgabe aus dem Jahr 1523 ist ins Institut für Römisches Recht und Vergleichende Rechtsgeschichte der Universität Bonn zurückgekehrt. © Barbara Frommann/Uni Bonn
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