Mit dabei sind auch zwei Wissenschaftlerinnen des Bonner Instituts für Geschichtswissenschaft: Julia Gehrke und Frederice Charlotte Stasik sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Doktorandinnen am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte von Prof. Dr. Friedrich Kießling. Sie forschen zu Fragen der Zeitgeschichte der Bundesrepublik Deutschland vor dem Hintergrund internationaler Beziehungen.
In ihrem Promotionsprojekt untersucht Julia Gehrke Veränderungen in der Rolle der Bundesrepublik Deutschland in den 1980er Jahren anhand der UNESCO-Krise. Weithin sichtbar wurde diese damals durch den Austritt der USA. Angesichts des dadurch entstandenen harten Einschnitts bei Image und Finanzen der UNESCO diskutierten die westdeutschen Akteure – staatliche wie etwa das Auswärtige Amt und nicht staatliche wie beispielsweise die Deutsche UNESCO-Kommission – über die der Bundesrepublik zugefallenen Rolle, das Selbstverständnis und die Erwartungen an ihr internationales Handeln. Dabei zeigt sich, dass die Bonner Republik im multilateralen Kontext mehr Verantwortung übernahm, zunehmend selbstbewusst auftrat und mit Mitteln der „soft power“ agierte, also der Beeinflussung durch Überzeugungs- und Anziehungskraft mit Werten ohne Anwendung von Zwangsmaßnahmen. Auch in den folgenden Jahrzehnten musste sich die Bundesrepublik immer wieder neu positionieren.
Neue Herausforderungen führten zu immer wieder neuen Debatten, ob und inwieweit eine militärische Einsatzbeteiligung der Bundeswehr „Out-of-Area“ möglich sei. Solche untersucht Frederice Charlotte Stasik in ihrem Promotionsprojekt und legt dabei einen Fokus auf den Einfluss von wissenschaftlichen und sicherheitspolitischen Akteuren. Anfragen von Bündnispartnern entfachten eine bundesdeutsche Debatte über die Möglichkeit einer militärischen Einsatzbeteiligung der Bundeswehr „Out-of-Area“. Während die ersten Anfragen einer Beteiligung der Bundeswehr von deutscher Regierungsseite abgelehnt wurden, veränderte sich dies mit der stärkeren Einbindung in die Bündnispartnerschaften NATO, WEU und Vereinte Nationen. Auch andere Faktoren prägten die Debatte maßgeblich – etwa ökonomische Verflechtungen, Bemühungen von Friedensaktivist*innen, die deutsche Einheit und vor allem die innenpolitische Debatte um die Auslegung des Grundgesetzes Art. 24 u. 87a GG sowie die rechtlichen Zulässigkeit von Bundeswehreinsätzen jenseits der Landes- und Bündnisverteidigung. Das Projekt verortet sich an der Schnittstelle von neuer Politikgeschichte und Diskursgeschichte und leistet einen geschichtswissenschaftlichen Beitrag zu aktuellen sicherheitspolitischen Fragestellungen.
2000 Teilnehmer in 70 Fachsektionen. Drei öffentliche Diskussionen
Auf dem Historikertag mit voraussichtlich über 2.000 internationalen Teilnehmern werden die beiden Bonner Wissenschaftlerinnen ihre bisherigen Ergebnisse in einer von 70 Fachsektionen im Rahmen der größten geisteswissenschaftliche Fachkonferenz Deutschlands vortragen. Aller Erfahrung nach entwickelt sich auf dem Historikertag stets auch der Austausch der Wissenschaftler mit Politik und Gesellschaft, der über das Fach hinaus in die Gesellschaft wirkt. „Dynamiken der Macht“ bieten hier verschiedene Ansatzpunkte wie beispielsweise der Schutz vor Machtmissbrauch, auch prekäre Arbeitsverhältnisse im akademischen Betrieb, nicht zuletzt Rassismus und Antisemitismus in Machtverhältnissen, oder auch Fragen zum Einfluss Künstlicher Intelligenz auf die Wissenschaft.