30. März 2020

Wir sitzen alle im selben Boot Lebenszeichen: Wir sitzen alle im selben Boot

Viele Bonner Studierende befinden sich derzeit im Rahmen von Austausch- und Stipendienprogrammen im Ausland oder mussten dieses aufgrund des Coronavirus unterbrechen, frühzeitig beenden oder konnten es gar nicht erst antreten. Im Rahmen der Serie „Lebenszeichen – Wir bleiben im Gespräch!“ kommen insbesondere diejenigen zu Wort, die unmittelbar von den Auswirkungen des Coronavirus betroffen sind. Unsere "Outgoings" und "Incomings" berichten uns von ihrem Alltag im In- und Ausland und wie sie mit der jetzigen Situation umgehen. Sie geben für ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen wertvolle Tipps gegen die Langeweile und Empfehlungen für alle, die ebenfalls irgendwo "gestrandet" sind.

Lebenszeichen:
Lebenszeichen: - Alleinige Streifzüge durch Dänemarks Natur © Nicola Groß, Foto: privat
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Nicola Groß befindet sich (noch) in Aarhus (Dänemark) im Auslandssemester in Selbstisolation.

Die Fragen stellte Dr. Sarah Monreal, Dezernat für Internationales.

Dezernat Internationales: Seit wann befindest Du Dich in Aarhus und aus welchem Anlass?

Nicola Groß: Ich bin seit dem 23.01.2020 in Aarhus und schließe hier mein letztes Modul im Masterstudium Kunstgeschichte ab. Ich habe mich Ende 2019 relativ spontan auf die Erasmus-Restplätze des Kunsthistorischen Instituts beworben, um vor dem Abschluss noch einen Auslandsaufenthalt zu machen. Ursprünglich hatte ich auch vor, meinen Aufenthalt in Dänemark zu verlängern und hier über den Sommer meine Masterarbeit zu schreiben, was ich nun überdenken muss.

Wie gestaltet sich die Situation an Deiner Partnerhochschule? Kannst Du dein Studium über Online-Formate fortsetzen?

Die Aarhus Universität informiert sehr gut über gegenwärtige und laufende Änderungen und ich stehe mit meinen Erasmus-Koordinatorinnen vor Ort und in Bonn in Kontakt. Die dänischen Universitäten sowie alle anderen öffentlichen Einrichtungen bleiben vorerst bis zum 13.04. geschlossen. Es wurde sehr früh nach der Schließung ein Online-Angebot zur Verfügung gestellt, in dem ein virtueller Kursraum den Dozenten “normalen“ Unterricht ermöglicht, sodass die Lerninhalte weiterhin im Kurs vermittelt werden können ( auch Präsentationen und Gruppenarbeiten sind problemlos möglich). Grundsätzlich basiert die dänische Lehre auf Eigenständigkeit, Selbstorganisation und viel Lesestoff, sodass sich am Umfang der Lehrinhalte nicht viel ändert, nur an der Art und Weise des Unterrichts.

Wie erlebst Du die Situation in Dänemark und wie gehst Du damit um? Was empfiehlst Du Studierenden, die sich in einer ähnlichen Situation befinden?

Der mentale Druck, mit der gegenwärtigen und isolierenden Situation alleine fertig zu werden, ist sehr schwer auszuhalten; insbesondere in der Fremde oder einem Umfeld, mit dem man noch nicht so vertraut ist. Neue Informationen und Vorschriften, das Gefühl von Beschränkung, viele abgereiste Erasmus-Studenten und nicht wissen, wie es weitergehen wird; all das kann sehr verunsichern. Ich versuche deshalb, im Austausch mit Freunden und Familie Spannungen abzubauen und wende mich bei akuten Fragen oder Problemen an meine Erasmus-Koordinatoren. Ich habe mich entschieden, vorerst allein in Dänemark zu bleiben, bis es zwingend notwendig wird nach Deutschland zurück zu kommen. Dabei habe ich mich vordergründig am Appell der dänischen Regierung orientiert, alle nicht notwendigen Reisen momentan zu unterlassen. Ich fühle mich hier sicher und gut informiert. Die Dänen sind sehr strikt in den Beschränkungen des öffentlichen Lebens vorgegangen und nehmen die Situation ernst, verfallen jedoch nicht in Panik und bleiben relativ entspannt. So wird weniger “gehamstert“ als in Deutschland. Zudem gibt es, neben den sozialen Beschränkungen, bisher keine Ausgangssperren, sodass ein Aufenthalt im Freien noch immer möglich ist.  Ich bin erst zwei Monate in Aarhus und habe bisher nicht viel von der Stadt und Umgebung gesehen, da ich in anfangs noch einen großen Organisationsaufwand hatte und viel Arbeit in die Vorbereitungen der Unterrichtsstunden stecken musste. Aber seit einer Woche habe ich ein Leihfahrrad: eine wunderbare Möglichkeit, Busse und Bahnen zu entlasten, sich doch noch etwas von der Umgebung anzuschauen, in Bewegung zu bleiben und an der frischen Luft zu sein. Vornehmlich radel ich alleine und meide Stoßzeiten und das Wochenende. Wer, wie ich, freiwillig überwiegend in Isolation bleibt, sollte sich vor allem selbst auf die Schulter klopfen und diese soziale Distanz weiterhin zelebrieren.Die letzten Wochen haben mir wieder eine Demut gegenüber den kleinen Dingen im Leben nahe gebracht, die meistens unterschätzt werden und die wir zu oft nicht würdigen. Für mich sind das Dankbarkeit für meine Gesundheit und die Gesundheit meiner Familie und Freunde, in Kontakt mit ihnen zu stehen (wenn auch aus der Distanz), die Möglichkeit mich hier noch draußen frei zu bewegen und in der Natur zu sein, ein Buch zu lesen, mir meine Zeit frei einteilen zu können, die Möglichkeit, etwas zu lernen, die Ankunft des Frühlings… Wenn ich meine Situation in diesem Licht betrachte, sehe ich sehr klar, dass es mir gut geht und dass soziale Isolation, verglichen mit der harten Arbeit vieler Menschen, die momentan beruflich involviert und am Limit sind, tatsächlich ein Privileg ist. Ich kann die Vergangenheit und den Lauf der Dinge nicht ändern und auch die Zukunft ist momentan ungewiss. Allein zu sein bestimmt jetzt erstmal den neuen Alltag. Aber ich habe direkten Einfluss auf mein Wohlbefinden im Hier und Jetzt und ich kann meinen Beitrag zum Schutz aller von überall aus leisten. Das bestärkt mich, diese Zeit alleine zu überbrücken. Ich kann nur raten, so viel Selbstfürsorge und Selbstliebe zu praktizieren, wie es geht. Dazu gehört auch, eine Balance mit den neu eintreffenden, beunruhigenden Nachrichten zu finden. Im Gastland und aus seriösen Quellen informiert zu bleiben ist wichtig, aber wenn es zu viel wird, sollte zum Selbstschutz vor allem Abstand von reißerischen Schlagzeilen genommen werden. Mentale Gesundheit ist die Basis, um das gut zu überstehen.

Hast Du Tipps, wie man die Corona-bedingte Isolation am besten übersteht?

Auf jeden Fall im distanzierten Kontakt mit anderen bleiben und sich nicht “einigeln“. Freunde, Familie, andere Studenten - alle fühlen sich ähnlich und freuen sich über Austausch. Disziplin ist momentan sehr wichtig für mich. Aufstehen, sich kleine Teilziele setzen, etwas am Tag schaffen, sich nicht gehen lassen – auch wenn es in der Isolation offenkundig niemanden zu interessieren scheint. Es ist wichtig, zielorientiert zu bleiben und sich auf den Lernstoff und die Prüfungen zu fokussieren, auch wenn man sich nicht immer gut konzentrieren kann. Es verschafft Stabilität und Struktur und man arbeitet auf eine sinnstiftende Zukunft hin. Das gibt Hoffnung und macht auch ein bisschen stolz. Auch tägliche Routine gibt Halt. Dazu gehören bei mir heißer Tee am Morgen, für die Uni arbeiten, Social Media Kontakt mit meiner Familie und meinen Freunden, Erlebnisse aufschreiben, frisch kochen, malen, Hörbücher, Yoga und Fahrrad fahren oder spazieren gehen. Da ich hier im Ausland bin, sind meine Mittel teilweise begrenzt. Wäre ich zu Hause in Deutschland, würde ich mit dem Familienhund durch den Garten toben und ganze Projekte angehen, die mich sinnvoll beschäftigen oder etwas ausprobieren, was ich schon immer mal machen wollte (zum Beispiel einen Gemüsegarten anbauen). Das Wichtigste ist: Durchhalten, Durchhalten, Durchhalten. Wir sitzen alle im selben Boot.

Selbstisolation in Aarhus
Selbstisolation in Aarhus © Erasmus-Studentin Nicola Groß. Foto: privat
Ein Besuch im Aros Museum vor der Corona-Krise
Ein Besuch im Aros Museum vor der Corona-Krise © Nicola Groß, Foto: privat
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