15. März 2021

Vorlesung in Jogginghose: Vor- und Nachteile des Zwangsfernstudiums in Zeiten von Corona Lebenszeichen: Vorlesung in Jogginghose

Studium ist Austausch: Persönlicher Austausch der Studierenden und Lehrenden, der Studierenden untereinander. Die Corona-Pandemie zwingt uns, andere Wege der Interaktion zu finden. Wie das Virus das Leben von Studierenden verändert hat, darüber berichten Ansah Ahmad und Nursah Aktas in ihrem Beitrag zur Serie "Lebenszeichen".

Lebenszeichen
Lebenszeichen © Fotos: privat
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Text: Ansah Ahmad & Nursah Aktas
 
Ein bunt gemischtes Seminar, der interessante Austausch mit Kommilitonen und Dozenten zwischen Tür und Angel, die rege Diskussion in der Lerngruppe und natürlich das gemeinsame Essen in der Mensa. All dies und vieles mehr verbindet man mit der Studienzeit, ganz zu schweigen von den Freundschaften, die sich aus dieser zusammenschweißenden Zeit entwickeln. 
 
Dank Corona wurde das normale Präsenzstudium, so wie man es kennt, jedoch auf Eis gelegt. Zugegeben – die Corona-Pandemie kam nicht vorangemeldet. Auf die heutige Situation war niemand vorbereitet. Die Universitäten mussten schnell reagieren. So entschied sich auch die Universität Bonn mehrheitlich für die digitale Lehre. Es finden Zoom-Meetings anstelle von Seminaren statt. Vorlesungen werden als Podcasts hochgeladen. Referate werden im MP3- oder MP4-Format aufgenommen und an die Seminarteilnehmer versandt. Studierenden machen mit dieser Situation ganz unterschiedliche Erfahrungen. Für einige verläuft das digitale Studium mehr schlecht als recht, aber es gibt auch zahlreiche Vorteile.

Für die Studierenden, die für ihr Studium extra nach Bonn gezogen sind, ist die Situation wahrscheinlich besonders ärgerlich. Viele ziehen deshalb in Erwägung, zurück in ihren Heimatsort oder zu ihren Eltern zu ziehen. Für Pendler jedoch brachte die Veränderung tatsächlich auch angenehme Seiten mit sich. Sie sparen wertvolle Zeit, die sie normalerweise auf der Hin- und Rückfahrt verloren haben und jetzt effizienter beispielsweise für ihr Studium nutzen können. Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass man sich nun keine Gedanken mehr machen muss, was man zumindest ab Brusthöhe abwärts trägt. Man kann bequem in Jogginghose – am Schreibtisch oder auf dem Sofa – an der Vorlesung teilnehmen, ohne dass es jemand merkt. Nicht nur die Reisedauer fällt also komplett weg, sondern auch die Vorbereitungszeit für die Teilnahme an Seminaren verkürzt sich.

Leider haben aber aufgrund der Pandemie viele Studierende ihren Nebenjob verloren und stecken nun in einer finanziellen Notlage. Andere können die digitalen Lehrangebote kaum nutzen, da sie zuhause nur eine instabile oder gar keine Internetverbindung haben. Zu allem Überfluss stehen auch die Lesesäle, Gruppen- und Arbeitsräume in den Instituten und Bibliotheken nicht mehr zur Verfügung. Die Alternativlosigkeit erschwert für einige das Studieren enorm. Zwar bieten die Studierendenwerke der Hochschulen den Studierenden, die wegen der Corona-Krise in akute Notlage geraten sind, finanzielle Überbrückungshilfen an, aber entweder werden die Gelder verspätetet ausgezahlt oder der Antrag wird in viel zu vielen Fällen unbegründet abgelehnt. Es überrascht nicht, dass viele deshalb überlegen, ihr Studium abzubrechen oder es für ein oder mehrere Semester zu pausieren – bis das Coronavirus wieder verschwunden oder zumindest eingedämmt ist.

Und selbst wenn man genug Geld und eine stabile Internetverbindung hat, kann die Vielfalt an digitaler Kommunikation erschlagend wirken. Zu den Lehrveranstaltungen muss man sich auf BASIS anmelden, der Unterricht findet über Zoom statt, während andere Lehrveranstaltungen aufgenommen und als Aufzeichnung auf eCampus bereitgestellt werden. Ebenso verliert man schnell den Überblick über die erhaltenen E-Mails, weil der Posteingang vor Informationen über Online-Vorträge, neue Prüfungsmodalitäten, Zoom-Links usw. überquillt. Grundsätzlich starrt man aber in derselben Sitzhaltung stundenlang auf den Bildschirm. Man ist eben nicht in der gewohnten Lernumgebung und dadurch kann die Konzentration schnell nachlassen. Zusätzlich haben viele Studierende das Gefühl, dass sich die Anforderungen an Studienleistungen vermehrt haben. Sie versuchen deshalb, möglichst viele Aufgaben schnell abzuhaken. Dadurch kann einem jedoch schnell alles über den Kopf wachsen und man gerät in einen Stresszustand. Auf der anderen Seite gibt es Studierende, die überhaupt nicht produktiv beim Home-Studium sind, da sie gar keine Motivation zum Lernen finden. Es ist verständlich, dass es nicht einfach ist, zahlreichen potentiellen Ablenkungen und Verlockungen, wie z.B. sich kurz auf der Couch auszuruhen oder auf YouTube Videos zu schauen, zu widerstehen. Eine Balance zwischen Lernen und Freizeit ist aber enorm wichtig.

Das Plaudern auf den Universitätsgängen, der gemeinsame Kaffee oder das gemeinsame Lernen zwischen den Vorlesungen fallen weg. Gewiss haben Studierende die Möglichkeit, Treffen über verschiedene Softwares zu organisieren und sozusagen eine virtuelle Plauderecke ins Leben zu rufen. Man kann so regelmäßige Lern- oder Diskussionsgruppen organisieren, die einen mit Sicherheit mental etwas aus der Isolation holen. Einige Abteilungen der Universitäten so wie unsere, die Abteilung für Südasienstudien, bieten mittlerweile virtuelle Feierabend-Stammtische an, um sich auch außerhalb der Lehrveranstaltungen kennenzulernen und sich auch mal über Themen auszutauschen, die nicht im Zusammenhang mit dem Studium stehen. Diese Alternativen sind aber kein Ersatz für reale Begegnungen. In Anbetracht der Lage muss der gemeinsame Kaffee oder Tee allerdings wohl leider weiterhin virtuell getrunken werden.

Digital kann man diesen Tee aber sogar mit Kommilitonen trinken, die nicht nur nicht in Bonn sind, sondern ganz weit weg, wie z.B. in Pakistan. Dank des digitalen Studiums ist man nicht mehr an einen Ort gebunden. Alle können an dem Unterricht teilnehmen sogar wenn man sich im Ausland befindet. So berichtete eine Kommilitonin Folgendes:

 

Als ich im Januar 2020 mein Flugticket nach Pakistan buchte, rief mich mein Cousin an und fragte, ob ich tatsächlich fliegen möchte. Ich fragte ihn warum, und er antwortete in seiner charmanten Art: „Hast du nicht von diesem komischen Virus aus China gehört? Wenn das nach Pakistan überschwappt, wo alle aufeinander hocken, dann ist die Apokalypse garantiert.“ Ich hatte tatsächlich nicht von dem „komischen Virus“ gehört, lachte meinen Cousin aus und flog nach Pakistan. Der erste Monat dort verlief super. Man hörte zwar immer wieder vom Coronavirus und dass es auch den ersten Fall in Pakistan gäbe, aber grundsätzlich blieb alles vollkommen normal. Schlagartig kam jedoch am 13. April 2020 die Ausgangssperre. Alle Geschäfte außer denen, die Lebensmittel anboten, wurden geschlossen. Man durfte nur noch maximal zu zweit auf die Straße und jegliche Versammlungen wie beispielsweise Hochzeiten wurden verboten. Ich erlebte, wie Leute, die diese Regeln missachteten von Polizeibeamten auf der Straße mit Prügel bestraft wurden. Es gab vermehrt Haushalte ohne Strom, da die Einnahmequellen zur Begleichung der Rechnungen fehlten. Unzählige Menschen wurden obdachlos. Besonders hart traf es die Tagelöhner. Auch ich war davon nicht unbetroffen, da ich keinen Rückflug nach Deutschland bekam. Aber dank Zoom, eCampus und sehr entgegenkommenden Dozenten konnte ich trotzdem ein weiteres Semester erfolgreich abschließen, obwohl ich in Pakistan festhing. Für die Zoom-Sitzungen, zu denen ich es aufgrund von Stromausfällen oder einer schlechten Internetverbindung nicht schaffte, schrieb ich Essays oder Textzusammenfassungen als Ausgleich. Und Referate, die ich halten musste, nahm ich als Audioaufnahme auf und schickte sie mit der jeweiligen PPP an die Lehrpersonen.

 

Corona ist also Fluch und Segen: Man lernt, das Beste aus einer schwierigen Situation zu machen, und die Menschen haben mehr Verständnis füreinander. Eine weitere positive Auswirkung ist, dass die Prüfungsphasen nun auch etwas entspannter verlaufen. Vor der Corona-Krise mussten wir alle Prüfungen innerhalb von zwei oder drei Wochen schreiben. Um persönliche Kontakte und Übertragungsrisiken ausschließen zu können, wurden Präsenzklausuren zu e-Klausuren oder als Kompensation in das schriftliche Prüfungsformat Hausarbeit umgewandelt. Die Termine wurden über die ganzen Semesterferien verteilt und man hat statt drei nun vier Versuche.

 

Wenn uns als Studierende diese zwei Online-Semester jedoch etwas sehr deutlich vor Augen geführt haben, dann ist es die Tatsache, dass der Campus ein unersetzbarer Ort für Bildung sowie soziale Interaktionen ist. Digitalisierung im Studium kann in vielerlei Hinsicht hilfreich sein, aber sie sollte unserer Meinung nach, nicht anstelle der Präsenzlehre, sondern lediglich für ihre Optimierung eingesetzt werden. So sehr wir das Verständnis, das aufgrund der schwierigen Situation zwischen Studierenden und Lehrenden entstanden ist, schätzen, so sehr freuen wir uns aber auch darauf, dies dem anderen bei einem echten Treffen – in einem Café oder im Seminar – von Angesicht zu Angesicht zu sagen.

 

Über die Autorinnen

Ansah Ahmad (27) und Nursah Aktas (25) studieren Südasienwissenschaften am Institut für Orient- und Asienwissenschaften. Beide sind im dritten Semester des Masterstudiums.

 

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