Loading

Schicksale hinter Stempeln finden Wie Nazi-Raubgut in Detektivarbeit zurück zu Erben kommen soll

An der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn läuft unter der Leitung von Veronica Albrink und Dr. Michael Herkenhoff eine der umfassendsten Spurensuchen des Landes: Zehntausende Bücher werden durchblättert, ebenso viele Karteikarten in alten Katalogen gesichtet, Eingangsbücher Zeile für Zeile durchgegangen – auf der Suche nach Büchern, die Menschen von den Nazis geraubt und in Bonn gelandet sind. Es ist das erste Projekt seiner Art an der ULB.

Am 9. Dezember 1941 wurde Leo Polak im KZ Sachsenhausen von Nationalsozialsten ermordet.

Protokollen des KZ-Personals zufolge wurde er zu Tode geschlagen.

Im Februar des Jahres hatten die Nazis den niederländischen Freidenker, Rechtsgelehrten und Philosophen aus seiner Wirkungsstätte, der Universität Groningen, in das Lager nördlich von Berlin deportiert. Polak war – obgleich nicht praktizierend – jüdischer Abstammung. Derjenige Teil seines Hab und Guts, den er nicht mehr rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte, wurde beschlagnahmt und verkauft.

Neun Bücher aus seinem Besitz finden sich heute in der ULB Bonn.

Das ist die Aufgabe, an der Tobias Jansen in einem achtköpfigen Team beim vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekt „Ermittlung von NS-Raubgut in der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn“ arbeitet.

Zum einen kann man die Bestände bereits eingrenzen: Der Fokus liegt natürlich auf Zugängen zwischen 1933 und 1950. Betroffen können zudem nur Bücher mit einem Erscheinungsdatum vor 1945 sein. Büchern aus verdächtigen Zugängen werden durchgeblättert, untersucht auf Stempel, Paraphen oder andere Merkmale, hinter denen ein Schicksal stecken kann.

„Wir ermitteln, was wir im Haus haben, und verschaffen uns einen Überblick über die damaligen Arbeitsabläufe und Prozesse“, so Jansen.

Gibt es dort Hinweise zu den Büchern, werden sie im Haus mithilfe der diversen Findmittel, wie dem Suchportal 'bonnus' oder älteren Zettelkatalogen identifiziert. Gelingt dies nicht, so wird im so genannten 'Katalog der Kriegsverluste' geprüft, ob sie vielleicht zu den Verlusten des Zweiten Weltkriegs zu zählen sind.

Die damalige Universitätsbibliothek ging 1944 beim alliierten Luftangriff auf Bonn in Flammen auf; circa 180.000 Bücher wurden dabei zerstört.

Aus den genannten über 61.000 Erwerbungen wurden bislang fast 4.000 als „verdächtig“ eingestuft; bei fast 600 „heißen Kandidaten“, die die Projektmitarbeitenden entdeckt haben, ist gesichert von Raubgut auszugehen. Vermutlich wird sich die Zahl noch weiter erhöhen.

Viele Bücher gelangten etwa aus der von den Nationalsozialisten sogenannten Ordensburg Vogelsang nach Bonn, aber auch von damaligen Behörden wie diversen rheinischen Bürgermeisterämtern, der Gestapo Düsseldorf oder Wuppertal sowie teils bedeutenden Antiquariaten im In- und Ausland.

Doch was sie nicht wusste: Viele Bücher haben noch Geheimstempel, die heute eine Identifikation ermöglichen. Die Gartenbauschule ist inzwischen Teil einer Universität. Gut möglich, dass das Buch langfristig restituiert werden kann.

Zu weiteren prominenten Funden gehören Bücher des Strafverteidigers Max Alsberg. Alsberg wurde in Bonn geboren, studierte unter anderem hier, bevor er in Berlin als Notar und Strafverteidiger arbeitete. Als Jude verfolgten ihn die Nazis ab 1933 und zerstörten in nur wenigen Monaten seine Existenz und sein Lebenswerk, zu dem auch eine Kunst- und Büchersammlung zählt.

Verzweifelt und gebrochen erschoss er sich noch im September 1933 in seinem Schweizer Exil.

Die gefundenen Bücher werden, falls möglich, restituiert und ihre Herkunft im Bibliothekskatalog bonnus verzeichnet, damit die Forschungsergebnisse sowohl für Wissenschaftler*innen, aber auch für die Studierenden zuganglich sind. Für das kommende Jahr ist ein umfangreicher Projektband in Vorbereitung. Ein Großteil des Projektes wird über Drittmittel finanziert, der Rest über die ULB selbst.

Auf der Spurensuche: Dr. Michael Herkenhoff, und Tobias Jansen prüfen Bestände der ULB auf Restitutionsmöglichkeiten

Foto Polak: Von Unbekannter Fotograf - GaHetNa (Nationaal Archief NL) 023-0402 (slightly cropped), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=43990837

Fotos: Gregor Hübl

Text: Sebastian Eckert

Created By
Sebastian Eckert
Appreciate

Credits:

Fotos: Gregor Hübl / Universität Bonn