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In den Untergrund Des Hauptgebäudes der Universität Bonn

Wohin führen Kriechgänge unter dem Hauptgebäude? Was hat es mit Todeszelle, Karzer, Filmclub und Fahrradkeller unter den Gemäuern des ehemaligen Kurfürstlichen Schlosses auf sich? Wo standen früher die kurfürstlichen Pferde und trank man Wein? Kaum einer kennt das Gebäude und seinen darunterliegenden Untergrund so gut wie Universitäts-Archivar Dr. Thomas Becker. Kurz vor der Sanierung nimmt er uns mit auf eine Spurensuche durch das Uni-Archiv und das Hauptgebäude.

Der alte Filmclub

Nicht weit entfernt vom Uni-Archiv öffnet Dr. Thomas Becker eine unscheinbare Tür hinab in den Untergrund. Schummriges Licht leuchtet dort die Flure aus.

Kurz dahinter hängen alte Filmplakate an den Wänden.

Es ist der Weg zum ehemaligen Filmclub.

Bis in die 1980er-Jahre schauten die Studierenden regelmäßig im Hörsaal I Filme an. Dann ging der 16-mm-Projektor kaputt. Zugleich begannen Sanierungsarbeiten an zwei Hörsälen, die sich über zehn Jahre hinzogen. Erst 1996 konnte der Filmclub wieder mit neuem Projektor Filme flimmern lassen.

Doch in der Zwischenzeit hatten die bequemen Cineplex-Kinos den Markt aufgerollt. Die Studierenden wollten nicht mehr auf harten Holzbänken sitzen – der Filmclub löste sich auf. Versteckte Spuren finden sich auch oberhalb des Kellers: Im Hörsaal I entdeckt man die Projektorkammer, gegenüber des Hörsaalzugangs liegt die Kinokasse.

4,5 Kilometer Archiv unter Gewölbedecken

4,5 Kilometer Akten auf tausend Quadratmetern. Gelegentlich zieht es Angehörige der Personalabteilung hier hinunter, ansonsten liegt es an den wachsamen Archivmitarbeitenden, die brummenden Luftentfeuchter zu leeren sowie, die Akten aufzuarbeiten und in ihren grauen Archivkartons für Generationen zu erhalten.

„Aber dieses Flair und Führungen, wie wir sie hier anbieten können, wird es dann so nicht mehr geben. Wir werden sehr viel Charme verlieren“, meint Becker etwas traurig.
„Mit der Universität Bonn fühlte ich schon immer verbunden, besonders wegen der Atmosphäre“, stellt Becker fest.

Das Hauptgebäude fasziniert ihn seit seiner Studienzeit. Eines seiner größten Verdienste war dementsprechend die Einrichtung des Universitätsmuseums 2013, mit einem eigenen Eingang am Kaiserplatz.

Bomben- und hochwassersicher

In den 1930er- oder 1940er-Jahren wurden die Decken verstärkt. „Denn dieser Raum hier diente auch als Luftschutzkeller für einige Hundert Menschen“, weiß Becker.

Viel Glück im Unglück hatten die Mitarbeitenden beim verheerenden britischen Luftangriff am 18. Oktober 1944. Denn die angesetzten Feierlichkeiten und die Semestereröffnung am Gründungstag der Uni hatte der Rektor vorsorglich abgesagt. Als um 11 Uhr die Sirenen heulten, flüchteten die Verwaltungsmitarbeitenden in den Bunker und blieben geschützt. Der nahe Ostflügel an der Blauen Grotte wurde völlig zerstört.

„Wir sind bomben- und hochwassersicher“, stellt Becker fest.

Nur der Klimawandel mache den Archivar:innen zu schaffen. Die Luftfeuchte in den Kellern steigt.

Und es wurden sogar Archivalien an Orten ohne Wasserzugang beschädigt – das Wasser verteilte sich unbemerkt über alte, nicht mehr benutzte Rohrsysteme. Die Schäden wurden erst spät bemerkt.

Die Todeszelle

Der Raum mit dem scherzhaft gemeinten Namen dient als Ablage für Akten, die sowieso „kassiert“, also turnusgemäß vernichtet werden sollen.

„Bei Regen kommt fingerdick Wasser durch die Wände. Hier kann man nichts lange lagern“, erläutert Becker.

Ein Wehrturm zum Schutz gegen die Bevölkerung

Nein, so Becker, diese läge 200 Meter entfernt. „Wir können aus einem alten Stich von 1598 erahnen, dass früher ein alter Wehrturm an dieser Stelle stand“, weiß er.

Die massiven Reste wurden in den Neubau des Kurfürstlichen Schlosses eingegliedert. Eine Besonderheit aber gäbe es, erläutert der Archivar:

„Der Wehrturm war nicht in die Stadtmauern integriert, sondern stand am Haupteingang eines Vorgängerbaus. Er richtete sich also nicht gegen äußere Feinde, sondern gegen die eigenen Bürger“.

Rosa für Frauen, grün für Männer

Früher trugen sich die Studenten und später auch die Studentinnen in dickleibige Bücher ein. Nach dem Krieg kamen stattdessen bis 1968 Karteikarten in zwei Farben in Benutzung: Männer erhielten grüne Karten, Frauen rosafarbene.

Generell hatten sie es damals schwer:

„Wenn die Studenten ihr Missfallen mit Fußscharren kundtaten, durften sie nicht hinein. In Berlin ist das passiert. Die Rheinländer waren galanter, die haben den Damen dann den Platz angeboten“, weiß Becker. Ab 1908 waren Vollstudentinnen zugelassen und stürzten sich, Marie Curie als Vorbild, auf die Naturwissenschaften.

Interessant sind die historischen Abgangszeugnisse. Becker präsentiert ein Blatt von Johann Georg Abels aus Neuss.

Die berühmteste Akte sei die von Karl Marx, der wegen Lärmens und Trunkenheit in den Karzer musste. „Das hat er natürlich geplant“, meint Becker. Denn der Karzer unter dem Dach des Koblenzer Tors war nicht besonders abschreckend: Manch einer legte es sogar bewusst auf eine Strafe in der Zelle an. Die Tür des Karzers ließ sich nicht abschließen, der Wächter, Pedell genannt, musste tagsüber in der Uni arbeiten, sodass man sich die Zeit am Rhein, beim Kartenspielen oder Spazierengehen vertrieb.

Die „Fluchttunnel“

„Er führt 140 Meter lang von der Schlosskirche bis unter die Cafeteria. Dann hört der Gang auf,“ weiß Becker. Der historische Zweck ist unklar, ansonsten ist der auch nicht unterkellert.

„Möglicherweise dient er als Druckausgleich – so genau kann man es nicht sagen“, berichtet Becker.

Der mehrtägige Brand von 1777 vernichtete viele Bauunterlagen.

Ist das der berüchtigte Fluchttunnel nach Poppelsdorf?

Becker hält nicht viel davon. „Bonn ist sehr hügelig. Richtung Rhein und Poppelsdorfer Schloss ist die Strecke abschüssig. Dazwischen liegt der alte Rheinarm, die Gumme.“

Gäbe es einen Tunnel zum Schloss, hätte der Kurfürst durchs Grundwasser waten müssen. Zudem sei eine Flucht zum ungeschützten Poppelsdorfer Schloss, wo die Feinde als erstes stünden, wenig logisch. „Sicherer ist eine Flucht über den Rhein – aber bis dahin reichten die ursprüngliche Schlossflügel ja fast bereits. Da braucht es keinen eigenen Tunnel“, so Becker.

Ein Kriechgang an der Straßenseite

Ein weiterer solcher Gang findet sich unterhalb des Treppenhauses der Aula. Am Rande eines Gewölbes führt eine Leiter nach oben zu einer Holztür. Im Kriechgang dahinter liegt zentimeterhoher Schmutz, man blickt durch schmale Lichtöffnungen auf die Straße. Menschen flanieren vorbei.

„Das Gewölbe hier ist Teil dieses Ferdinandbaus“, stellt Becker fest, Teile davon gehören gar zu einem noch älteren Stadthaus, darauf deuten zeitgenössische Verstärkungen hin. Doch der Kriechgang liegt außerhalb der dicken Mauern – woher stammt er dann?

Der Ferdinandbau wurde in der Belagerung 1689 zerstört. Der Kölner Erzbischof und Kurfürst Joseph Clemens von Bayern (1671–1723) und sein Nachfolger Clemens August (1700–1761) bauten eine prächtige, vierflügelige Schlossanlage, die 1777 abbrannte. Der bescheidene Nachfolgebau bestand aus einem Riegel und zwei Türmen an der Hofgartenseite.

Nach Gründung der Bonner Universität 1818 wurde das Schloss rasch zu klein. 1926 erweiterte die Hochschule den Bau, angelehnt an die kurfürstlichen Pläne, mit vier Seiten und Türmen. An der Straßenseite wurde das Schloss um zwei Meter verbreitert, und dabei entstand ebenjener Kriechgang mit gestampftem Lehm, der vermutlich für Versorgungsleitungen genutzt wurde.

Pferdestall und Probierstube

Plötzlich öffnet sich ein saalgroßer Bereich mit breiten Bögen, deren Zweck lange rätselhaft blieb. Inzwischen weiß Becker: „Das ist der einzig verbleibende Rest des Kellers des ersten Residenzschlosses aus dem 16. Jahrhundert. Die Bögen dienten als Zugang, und hier unten waren einst die Pferde untergebracht, mit Ausgang zum Etscheidhof.“

Deren Weinlager befand sich im Schloss – heute finden sich im alten Pferdekeller Paletten mit Toilettenpapier.

Kühe auf der Hofgartenwiese?

Auch einen weiteren Wandermythos räumt Becker aus. Seit 1847 gab es eine Landwirtschaftliche Hochschule in Bonn, mit der Legende, jeder Professor hätte das Recht, eine Ziege auf der Poppelsdorfer Allee weiden zulassen. 1934 wurde die Hochschule zur Fakultät, und aus der Ziege eine Kuh mit Weiderecht auf dem Hofgarten. „Völliger Unsinn. Wir sind im 19. Jahrhundert gegründet worden. Bei modernen Unis war so eine Art der Besoldung unüblich“, erklärt Becker. Eine Kuh auf dem Hofgarten gab es dennoch: Beim Sommerfest 1960 überreichten Studierende dem Rektor ein Rind.

The old bike cellar

Etwas abseits liegt der Zugang zum alten Fahrradkeller in der Universität.

Im Krieg diente der Bereich als Luftschutzkeller, darauf weisen Phosphor-Leuchtstreifen an der Wand hin.

Um die Ecke geht es in einen alten Tanzsaal. Hier soll bereits der Journalist Ulrich Wickert mit einem Ballett das Tanzbein geschwungen haben. Vom Parkett am Boden ist nur wenig zu erkennen, einen Hinweis liefern die alten Poster und Plakate an der Wand.

Impressions from the Old Bike Cellar

Story: Sebastian Eckert

Photos: Gregor Hübl

Created By
Sebastian Eckert
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Credits:

Photos: Gregor Hübl / University of Bonn