Amalie Kretzer ist eine der zwölf Wissenschaftlerinnen, deren „Versäumtes Bild“ jetzt im Universitätsmuseum zu sehen sind. Sie war im Jahr 1909 die erste Doktorandin der Physik an der Universität Bonn. Als Frauen der Zugang zu höherer Bildung erschwert und ihre Eignung für ein naturwissenschaftliches Studium verneint wurde, nahm Amalie Kretzer diese Hürde und promovierte sich 1908 erfolgreich an der Universität Bonn. Weil aber trotz bester wissenschaftlicher Qualifikation die beruflichen Chancen für Naturwissenschaftlerinnen im Wissenschaftsbetrieb rar waren, arbeitete Amalie Kretzer als Lehrerin einer höheren Mädchenschule. Nach ihrer Hochzeit im Jahr 1917 wurde ihr auch das genommen: die sogenannte Zölibatsklausel erlaubte nicht, als verheiratete Lehrerin zu arbeiten. Erst drei Jahre später wurde diese Regelung abgeschafft.
Frauen wie Amalie Kretzer wurden ihr Leben lang nicht als Wissenschaftlerinnen gesehen und gewürdigt. So durften sie auch nicht unter eigenem Namen publizieren. Anlässe, sie als Wissenschaftlerin zu sehen und zu fotografieren, gab es nicht, oder sie wurden ignoriert. Nur wenige Bilder zeigen Wissenschaftlerinnen dieser Zeit als öffentlich relevante Persönlichkeiten, wie es für die öffentliche Kommunikation unter männlichen Wissenschaftlern üblich war.
Hartes Licht und starke Posen
Die Berliner Fotografin und Wissenschaftskommunikatorin Gesine Born holt diese Frauen in die erste Reihe: „Ich will sie gleichstellen und den Ahnengalerien der Männer hinzufügen. Dafür setze ich hartes Licht ein und bilde starke Posen ab, wie wir sie von Männern kennen, beispielsweise die verschränkten Arme“, erklärt Gesine Born. Sie nutzt Midjourney, eine auf Künstlicher Intelligenz basierende Software-Plattform, die täuschend echte Bilder erschafft. Wo in seltenen Fällen doch noch Fotografien der Wissenschaftlerinnen existieren, werden sie der Künstlichen Intelligenz zur Verarbeitung eingespeist. Weitere, textbasierte Informationen über diese Frauen kommen hinzu, wenn möglich auch Orte und Zeitangaben, bis die KI schließlich das bisher versäumte Foto hervorbringt.
Hätte es nicht so sein können?
Manchmal geht Gesine Born mit ihren Portraits auch über die bekannten Tatsachen der Vergangenheit hinaus, zum Beispiel wenn einer in den 60-er Jahren des 20. Jahrhunderts bereits verstorbenen Wissenschaftlerin über das jetzt hergestellte Porträt ein Nobelpreis des Jahres 1968 „verliehen“ wird, was tatsächlich so nie stattgefunden hat. Hätte es nicht genau so sein können, wenn man(n) sich rechtzeitig ein Bild von der Wissenschaftlerin gemacht hätte? Die Ausstellung ist keine klassische Dokumentation und will das auch nicht sein, sondern sie zeigt KI-gestützte Kunst. Sie bedient sich eines realistisch anmutenden Bildes, um zu zeigen, was eine angemessene Würdigung gewesen wäre.
Auch Künstliche Intelligenz zieht ihr Wissen nur aus dem Internet. Dort ist die systematische Benachteiligung von Wissenschaftlerinnen aber ebenso etabliert wie in anderen Medien aus der Zeit vor dem Internet. Deshalb neigt KI dazu, Vorurteile zu verstetigen. „Wenn sogar eine Künstliche Intelligenz meint, dass ein Wissenschaftler auf jeden Fall ein Mann sein müsse, macht das die systematische Benachteiligung der Frau in Wissenschaft und Gesellschaft sichtbar“, so Born. Dagegen steht jetzt die neue Ausstellung „Her mit den Portr[AI]ts!“.
Gabriele Alonso Rodriguez hatte die Idee zu dieser Ausstellung und hat sie ins Universitätsmuseum der Uni Bonn geholt. Sie ist die Gleichstellungsbeauftragte der Universität Bonn und möchte „die außergewöhnlichen Leistungen von Wissenschaftlerinnen auch auf diese Weise verdeutlichen und der Öffentlichkeit zugänglich machen“, erklärt Alonso Rodriguez. Seit dem ersten Arbeitstreffen der Gleichstellungsbeauftragten mit der Fotografin vor einem Jahr unterstützt der Dezernent für Hochschulkommunikation der Universität das Projekt. Prof. Dr. Andreas Archut war beispielsweise an der Konzeption der Ausstellung im Universitätsmuseum beteiligt und sorgt dafür, dass sie jetzt bekannt wird. Alonso Rodriguez sagt: „Ich bin begeistert von der Technologie, die diese tollen Ergebnisse zutage fördert. Mein großer Dank gilt vor allem dem Team, also der Fotografin Gesine Born und unserem Kommunikationschef, Professor Archut. Mit den beiden war der lange Weg bis zur Eröffnung immer kurzweilig und inspirierend.“
"Diese Ausstellung verändert unsere Sicht auf die Welt."
Zu den ersten Besucherinnen der neuen Ausstellung zählten die Gleichstellungsbeauftragte der Evangelisch-Theologischen Fakultät, Lara Mührenberg, Mag. theol. B.A., und ihre Stellvertreterin, Aline Knapp, Mag, theol. Ihre Begeisterung haben die beiden dann in diese Worte gefasst:
"Die Ausstellung führt uns im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen, dass Bilder eine immense Kraft besitzen. Sobald wir ein Bild einer unsichtbar gemachten Frau in der Wissenschaft gesehen haben, nehmen wir dieses Bild in unseren Köpfen mit und behalten es im Gedächtnis. Wenn wir das nächste Mal etwa über Wissenschaftler*innen im 19. Jh. nachdenken, hat unser Gehirn jetzt die Möglichkeiten, vor unserem geistigen Auge spontan eine weibliche Person aufzurufen. Das verändert unsere Sicht auf die Welt! Auch für die Gegenwart, in der wir immer noch um einen Frauenanteil von lediglich 30% unter den Professor*innen ringen, sind solche Bilder von enormer Bedeutung und bieten Repräsentation und Inspiration für den akademischen Nachwuchs.
Zugleich zeigt uns die Ausstellung aber auch, wie sexistisch KI ist: Die KI generierten Bilder zeigen eine zumeist junge und normschöne Version der Wissenschaftlerinnen. Das verdeutlicht zum einen, wie tief die Idee, dass nur junge und normschöne Frauen wertvoll und zeigbar sind, gesellschaftlich verankert ist, denn mit solchen Bildern wird die KI gefüttert. Zum anderen ist es ein deutlicher Handlungsaufruf, die Entwicklung der KI nicht nur männlichen Personen zu überlassen, sondern Frauen in all ihren Lebensrealitäten einzubeziehen und Missstände deutlich zu benennen."