26. November 2013

Hilfe bei seltenen angeborenen Erkrankungen Hilfe bei seltenen angeborenen Erkrankungen

Neue Ambulanz für angeborene Multisystem-Fehlbildungen bei Kindern

Wenn bei Kindern gleichzeitig mehrere Fehlbildungen verschiedener Organsysteme auftreten, sprechen Mediziner von „Multisystem-Fehlbildungen“. Diese schwerwiegenden und meist sehr komplexen Erkrankungen treten zwar nur selten auf, sie stellen Eltern, Betroffene und Ärzte aber vor besonders große Herausforderungen. Um betroffenen Kindern und Eltern besser helfen zu können, hat das Universitätsklinikum Bonn nun eine eigene Ambulanz für angeborene Multisystem-Fehlbildungen bei Kindern ins Leben gerufen.

Allen Multisystem-Fehlbildungen gemeinsam ist eine klinische Überschneidung zu anderen bekannten genetischen Krankheitsbildern und eine Vielzahl an gesundheitlichen Problemen, die oft ein Leben lang mit körperlichen und psychosozialen Folgen einhergehen. Mit Geburtenhäufigkeiten von unter 1 zu 2.000 zählen diese multiplen Fehlbildungen zu den „seltenen Erkrankungen“.

Ein Beispiel für eine besonders gravierende Multisystem-Fehlbildung ist die „VACTERL-Assoziation“, bei der gleichzeitig die Wirbelsäule, der Enddarm, das Herz, die Luft- und Speiseröhre, die Nieren und die oberen Extremitäten betroffen sein können. Sie tritt mit einer Geburtenhäufigkeit von 1 zu 10.000 auf. Die Seltenheit wirft zusätzliche Probleme bei der Versorgung auf, weiß Privatdozent Dr. Heiko M. Reutter vom Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn, der die Ursachen der VACTERL-Assoziation wissenschaftlich untersucht hat: „Weil diese Erkrankungen sehr selten sind, gibt es meist keine etablierten Nachsorgekonzepte, geschweige denn zentrale Anlaufstellen für Eltern und Betroffene.“ Das soll sich am Universitätsklinikum Bonn mit der Eröffnung der neuen Ambulanz ändern.
 
Dr. Reutter, der Initiator der neuen Ambulanz, hat über viele Jahre Erfahrung in der klinischen Betreuung und Behandlung chronisch kranker Kinder mit Multisystem-Fehlbildungen gesammelt. „Die Komplexität dieser seltenen Erkrankungen erfordert ein hohes Maß an zeitlichem und persönlichem Engagement“, sagt der Arzt, der auch das Ärzte- und Forschernetzwerk „CURE-Net“ koordiniert, das das nötige Know-how aus Wissenschaft und Medizin bündelt, um den Betroffenen besser helfen zu können. Hierzu gehört auch eine systematische wissenschaftliche Ursachenforschung, wie sie am vor kurzem etablierten Zentrum für seltene Erkrankungen am Universitätsklinikum Bonn betrieben wird. Diese Aktivitäten haben in den vergangenen Jahren zu einer stetigen Verbesserung der Behandlung und Betreuung der Betroffenen geführt.

Individuell angepasste Nachsorgekonzepte

Die nun an der Universitätskinderklinik Bonn neu gegründete Ambulanz für Kinder mit Multisystem-Fehlbildungen soll gemeinsam mit den behandelnden Kinderärzten eine Versorgungslücke vom Neugeborenen bis zum jungen Erwachsenen schließen. Dr. Reutter erklärt: „Unser Ziel ist es, die Funktion aller betroffenen Organsysteme zu erfassen und auf Krankheitsbild und Geschlecht angepasste Nachsorgekonzepte erstellen.“ Dabei arbeitet der Bonner Mediziner deutschlandweit mit Selbsthilfeorganisationen, Zentren für seltene Erkrankungen sowie Exzellenzzentren der operativen Versorgung zusammen.

Neben der Behandlung und Betreuung der Betroffenen mit Multisystem-Fehlbildungen haben sich Dr. Reutter und seine Kollegen der Klärung der Ursachen dieser seltenen angeborenen Erkrankungen verschrieben. Sie nutzen dazu moderne Prinzipien der wissenschaftlichen Grundlagenforschung. Kürzlich konnte Dr. Reutter einen ersten Erfolg vermelden. Im Fachmagazin „Kidney International“ deckte er gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam den erblichen Zusammenhang der VACTERL-Assoziation mit dem sogenannten TRAP1-Gen auf, das offenbar die Fehlbildung verursacht (DOI 10.1038/ki.2013.417). „Auch wenn nur für einen kleinen Teil der Patienten mit VACTERL Assocziation Mutationen in TRAP1 ursächlich nachgewiesen werden konnten, so ist die Entdeckung dieser genetischen Ursache für diese Multisystem-Fehlbildung  ein erster wichtiger Schritt zu einem besseren Verständnis der biologischen Mechanismen normaler und gestörter embryonaler Entwicklung des menschlichen Organentwicklung. Für die betroffenen Familien eröffnet sich durch die Identifizierung dieser genetrischen Ursache eine neue diagnostische Möglichkeit und eine genauere Einschätzung des Wiederholungsrisikos.


Kontakt:
Priv.-Doz. Dr. med. Heiko M. Reutter
Abteilung für Neonatologie, Universitätskinderklinik Bonn und Institut für Humangenetik
Universitätsklinikum Bonn
Tel. 0228/287- 33333 oder 51000
E-Mail: reutter@uni-bonn.de

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