06. Juni 2018

Terror: Die Macht der Erzählung Terror: Die Macht der Erzählung

Dana Bönisch untersucht an neueren Romanen zu 9/11 die Rolle von Abgrenzung und Vereinfachung

Literarische Texte haben das Potenzial, Krieg und Terror zu durchdringen, indem sie spaltende Erzählungen überwinden. Davon ist die Komparatistin Dr. Dana Bönisch überzeugt, die in ihrer Dissertation an der Universität Bonn neuere, weitgehend unbekannte Romane zu 9/11 und dem sogenannten „Krieg gegen den Terror” untersucht hat. Sie bearbeitete literarische Beispiele, die einer vereinfachenden Erzählung nach dem Motto „Wir Guten - ihr Bösen“ entgegenwirken. Für ihre Textanalysen machte sie auch Methoden aus der Bild- und Raumtheorie sowie insbesondere der Topologie fruchtbar.

Dr. Dana Bönisch
Dr. Dana Bönisch - aus der Vergleichenden Literaturwissenschaft der Universität Bonn beleuchtete in ihrer Doktorarbeit „Geopoetiken des Terrors“. © Foto: Barbara Frommann/Uni Bonn
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„Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!“ Solche Sätze begleiteten nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den Kampf gegen den Terror. Der Slogan soll eine klare Trennung zwischen dem „Wir“ und den „Anderen“ bewirken, die sich gegenseitig ausschließen: Wir Guten, ihr Bösen – wir Demokraten, ihr Terroristen – Wir Gerechten, ihr Ungerechten! Die Komparatistin Dr. Dana Bönisch untersuchte in ihrer Doktorarbeit an der Universität Bonn solche Kategorisierungen und Trennungen anhand neuerer, weniger bekannter Werke zum „Krieg gegen den Terror“. Prof. Dr. Christian Moser aus der Vergleichenden Literaturwissenschaft betreute die Doktorarbeit zu „Geopoetiken des Terrors“. Damit sind literarische Perspektiven gemeint, die auf besondere Weise mit dem Raum des Globalen umgehen.

Wie erfinden wir „uns“ und „die Anderen“? Wie kann Sprache gegen Vereinfachung arbeiten? Wie lässt sich die Komplexität vielfältiger Zusammenhänge erzählen? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der Dissertation. „Viele Wissenschaftler arbeiteten sich an der ersten Generation der 9/11-Romane ab, die häufig aus der Opferperspektive erzählt werden“, sagt Bönisch. Neuere, weitgehend unbeachtete Literatur zu diesem Thema sei deutlich komplexer: Häufig würden darin auch die Täterperspektive, Prozesse der Globalisierung und Abhängigkeitsbeziehungen einbezogen. Die Komparatistin ist überzeugt: Literarische Texte können den Raum bieten, sich komplexen Zusammenhängen zwischen den handelnden Personen und den Orten zum Thema „Kampf gegen den Terror“ anzunähern.

Bönisch untersuchte anhand der Romane, wie es sich mit dem Spannungsfeld zwischen Vereinfachungen und Komplexität verhält. In Kevin Powers‘ „The Yellow Birds“ (2012) erzählt ein junger US-Soldat von seinem Irak-Einsatz und seiner Heimat in Virginia. „Zunehmend werden beide Schauplätze miteinander verwoben“, berichtet Bönisch. Die Pflanzenwelt im Irak und in der Heimat gleicht sich zum Beispiel überraschend – was einerseits gegen das stereotypische Medienbild des Kriegsgebiets Irak als staubige Einöde arbeitet, auf Handlungsebene aber ebenso zerstörerisch wirkt: Die Verschlingung der Räume kann auch als Effekt der posttraumatischen Belastungsstörung des Protagonisten gelesen werden.

Topologisches Denken arbeitet gegen verkürzende Vereinfachungen

Das hat Konsequenzen: Die Strategie, den Terrorismus vor allem in den „Ursprungsländern“ zu bekämpfen, um ihn von zuhause fernzuhalten, geht nicht auf. In „The Yellow Birds“ verschmilzt deshalb das „Hier“ und „Dort“. Um diese Effekte besser zu erfassen, bediente sich die Komparatistin auch mathematischer Methoden. Die Topologie bricht mit einfachen Vorstellungen von Nähe und Distanz, nutzt stattdessen Geflechte aus komplexen Beziehungen. „Topologisches Denken arbeitet gegen verkürzende Vereinfachungen und löst scheinbare Gegensätze auf“, sagt Bönisch. Damit verwischt auch das „wir“ und „die Anderen“.

Die Komparatistin ist überzeugt, dass die Kombination von zunehmender geographischer Distanz und Reduktion des eigenen Körpereinsatzes in der gegenwärtigen Kriegführung ins Extrem gesteigert ist: Drohnen, die Ziele in Afghanistan treffen, können aus der Wüste in Nevada gesteuert werden. Wenn bei einem Angriff das Ziel „markiert“ wird und der Drohnenpilot durch einen konstanten Datenfluss mit dem Ziel verbunden ist, wird das Bild im wahrsten Sinn des Wortes zur Waffe. „Der tausende Kilometer entfernte Zielort ist zu einer abstrahierten Fläche aus Pixeln und Koordinaten geworden – der Krieg wird zum Computerspiel“, sagt Bönisch. In „September“ (2012) beschreibt Thomas Lehr nicht nur die Perspektive des Drohnenpiloten beim Angriff, sondern setzt auch den Blickwinkel vom Boden entgegen. Gegen die Rhetorik der „sauberen Kriegsführung” setzt der Text Verletzungen und Leid.

Anhand dieser Romane lässt sich darstellen, auf welche Weise literarische Texte im Hinblick auf gegenwärtige Kriege Widerstand leisten, inwiefern sie Sichtbarkeit produzieren können, erläutert Bönisch. Gerade in längeren Textformen könne Komplexität überhaupt erst entwickelt werden. „Die Dissertation soll auch daran erinnern, wie leicht es ist, in vereinfachende Erzählungen zu verfallen.“ Es gelte, den ungleich schwierigeren Weg der Annäherung an komplexe Zusammenhänge einzufordern. Bönisch: „Literarische Texte haben das Potenzial, die stark vereinfachende Spaltung in `wir´ und `die Anderen´ aufzuheben und einen komplexeren Blick auf Krieg und Terror zu ermöglichen.“

Publikation: Dana Bönisch: Geopoetiken des Terrors - Visualität und Topologie in Texten nach 9/11, Bonn University Press bei V&R unipress, 235 S., gebunden 40 Euro, eBook 32,99 Euro

Kontakt:

Dr. Dana Bönisch
Tel. 0228/737570
E-Mail: dboen1@uni-bonn.de

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