Schon früher gab es in der Wissenschaft zwei Hypothesen, warum Vögel ihre Zähne verloren und einen Schnabel entwickelten. Eine geht davon aus, dass ein Schädel ohne Zähne leichter und somit besser zum Fliegen geeignet ist. Diese Hypothese erklärt aber nicht, warum sich auch bei fleischfressenden Dinosauriern des Mesozoikums, die mit Sicherheit nicht geflogen sind, Zahnlosigkeit und Schnabel wiederholt entwickelten, wie es bei straußartigen Dinosauriern und den sehr vogelartigen, gefiederten Dinosauriern der Fall ist. Noch bevor sich Tyrannosaurus rex von der Vogel-Stammlinie abzweigte, hatte sich in einigen jurassischen Fleischfressern ein Schnabel entwickelt.
Die andere Hypothese besagt, dass ein Schnabel besser geeignet sei, bestimmte Nahrung aufzunehmen. Dies passt zu der Beobachtung, dass viele primitive Vögel des Mesozoikums noch Zähne hatten. Erst zum Ende des Mesozoikums verschwinden die Zähne der Vögel. Aber es ist immer noch schwer zu verstehen, warum ein Schnabel so viel besser zum Füttern geeignet ist, als ein Mund voller Zähne, der auch sehr spezielle Aufgaben erfüllen kann, wie dies bei Säugetieren der Fall ist. Doktorand Tzu-Ruei Yang sagt: „Mehrere neuere Studien deuteten darauf hin, dass Veränderungen der Genregulation anstelle von Ernährungsumstellungen für die verlorenen Zähne verantwortlich sind. Möglicherweise gibt es also einen unbekannten Mechanismus, der zum Zahnverlust beiträgt.“
Eine mögliche Erklärung, warum sich ein zahnloser Schnabel bei verschiedenen Dinosauriern und Vögeln mehrere Male unabhängig entwickelte, kommt jetzt aus der Reproduktionsbiologie der Dinosaurier. Forschungen amerikanischer Paläontologen haben gezeigt, dass Zähne eine maximale Bildungsgeschwindigkeit haben und dass etwa 60 Prozent der Inkubationszeit durch Zahnbildung eingenommen werden. Yang erklärt: „Der Embryo muss im Grunde im Ei ‚warten‘, bis seine Zähne fertig sind, erst dann kann er schlüpfen.“ Im Ei ist der Embryo jedoch hilflos und dem Risiko ausgesetzt, gefressen zu werden. Daher wäre eine früheres Ausschlüpfen ein großer Vorteil. „Das Auslassen der zeitaufwendigen Zahnbildung könnte ein effektiver Weg gewesen sein, die gefährliche Inkubationszeit zu verkürzen“ sagt Yang. „Säugetiere haben dieses Problem nicht, weil ihre Embryonen im Mutterleib geschützt sind.“
Yangs Doktorvater Prof. Dr. Martin Sander vom Steinmann-Institut für Geologie, Mineralogie, und Paläontologie der Universität Bonn ordnet ein: „Die aktuelle Forschung erkennt immer mehr, dass viele Merkmale der Vögel schon bei ihren Vorfahren, den Dinosauriern, entstanden sind. Der zahnlose Schnabel ist auch so ein Fall, aber wir waren selbst überrascht, dass bei seiner Evolution die Geschwindigkeit der Zahnbildung eine Rolle spielen sollte.”
Die Bonner Wissenschaftler wollen die neue Hypothese mit entwicklungsbiologischen Experimenten und fossilen Beweisen auf die Probe stellen. „Die Kombination von Entwicklungsbiologie und Paläontologie könnte mehr verborgene Mechanismen aufklären und uns helfen zu verstehen, wie sich ein bestimmtes Merkmal entwickelt hat“, sagt Tzu-Ruei Yang.
Publikation: Tzu-Ruei Yang & P. Martin Sander: The origin of the bird's beak: New insights from dinosaur incubation periods; Biology Letters; DOI: 10.1098/rsbl.2018.0090
Kontakt:
Professor Dr. Martin Sander and Tzu-Ruei Yang
Steinmann-Institut für Geologie, Mineralogie, und Paläontologie
Universität Bonn
Tel. +49-(0)228/73-3105
E-Mail: martin.sander@uni-bonn.de und tryang@uni-bonn.de